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III.5 Wandel und Beharrung
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ben solch grundlegender Veränderung453 bedarf somit der Interpretation. Eine nicht
zu unterschätzende Rolle ist dabei langfristig wirkenden geistesgeschichtlichen Tra-
ditionslinien zuzuschreiben : dem erwähnten ‚Unbehagen an der Moderne‘ seit dem
19. Jahrhundert , einem allgemeinen Fortschritts- und Technikskeptizismus als Erbe der
deutschen Romantik454 und , mit beidem verbunden , der völkischen Geschichtsphilo-
sophie , die gesellschaftliche Entwicklung weniger als von Menschen gemachten Pro-
zess denn als von ‚natürlichen‘ Triebkräften bestimmt , als Evolution , begreift.455 Wie
Schiedel zur „naturalisierende( n ) Weltanschauung“ des Rechtsextremismus im Allge-
meinen ausführt , habe man es hier
mit einer Biologisierung des Sozialen zu tun. Im Rückgriff auf die ‚Natur‘ soll der Gesell-
schaft jede Dynamik und Veränderbarkeit genommen werden. Das biologistische Menschen-
und Weltbild friert die Zeit gleichsam ein ; nur ein ewiger Kreislauf des Werdens und Ver-
gehens ist denkbar.456
( Legitimes ) menschliches Handeln beschränkt sich in dieser Perspektive auf die bloße
Exekution axiomatisch gesetzter Imperative im Sinne der vermeintlichen ( Wieder-)
Herstellung eines naturgewollten Zustandes. Von Menschen auf Basis alternativer ethi-
scher Prinzipien – etwa der von Rechtsextremen geleugneten Gleichheit der Men-
schen – bewusst geplante Entwicklung erscheint dagegen als nicht wünschenswert ,
wenn nicht gar ( da ‚widernatürlich‘ ) als unmöglich. Auf diese Weise werden die beste-
henden Herrschaftsverhältnisse und sozialen Ungleichheiten legitimiert , womit auch
453 Die Diagnose dieses Ausbleibens erfolgt für das Burschenschaftswesen Österreichs insgesamt. Ein-
zelne Bünde mögen sehr wohl nicht unwesentliche Änderungen durchlaufen haben. Als ein Beispiel
( allerdings im Sinne ideologischer Verhärtung statt Öffnung ) lässt sich Brixia Innsbruck anführen.
Diese war Scheichl zufolge Anfang der 1960er-Jahre , obwohl ab spätestens 1961 in relevantem Um-
fang in den Südtirolterror involviert , „sicher eine der liberalsten Burschenschaften“ in Österreich ,
während sie heute zu den am weitesten rechts stehenden österreichischen Bünden zähle. Scheichl
erklärt diesen Wandel über zunehmende Einflussnahme einer externen Einzelperson – des in Inns-
bruck wohnhaften Olympen Norbert Burger – und den Antritt einer neuen Aktivengeneration um
1963/64 ( Interview vom 8. 6. 2012 ).
454 Vgl. zu Ersterem die Sonnwend-Rede von Erich Eisenmenger ( Silesia ) 1987 , wiedergegeben in den Se-
mesternachrichten der Wiener aB ! Silesia , Sommer 1987 , 11 , zu Letzterem Oberösterreicher Germanen
1994 , 106. Die Obergermanen-Chronik zitiert einen Brief Günter Hauskas an seine Bundesbrüder vom
26. 10. 1981 , in dem er sich gegen „übertriebene Technologie , ( … ) absolutes Fortschrittsdenken , Wis-
senschaftsgläubigkeit etc.“ ausspricht – gleichzeitig aber auch einem „Primat der Emotionen über die
Vernunft“ eine Absage erteilt.
455 So wenden manche Rechtsextremen sich schon gegen den Begriff des Fortschrittes und stellen ihm je-
nen der „lebendige( n ) Entwicklung“ entgegen ( Scrinzi 1991 , 43 ).
456 Schiedel 2007 , 31 f.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619