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III.5 Wandel und Beharrung
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die von diesen Bünden verfolgte , prononciert „politisch ausgerichtete Bildungsarbeit“
sein , mit der Sonja Kuhn zufolge versucht werde sicherzustellen , dass „alle Bundesbrü-
der , inkl. derjenigen , die nicht aus Bekenntnis eingetreten sind , ihre Burschenschaft als
politische Bezugsgruppe verstehen und akzeptieren“.459
Wie im vorangegangenen Abschnitt III.4 ausgeführt , war darüber hinaus auch die
gezielte Herbeiführung bzw. Bewahrung von Homogenität in den Bünden und Verbän-
den geeignet , Wandel vorzubeugen oder zumindest sein Tempo zu drosseln ( wie um-
gekehrt die Abwehr von Reformimpulsen Homogenität begünstigte ). Zu den darauf
hinwirkenden Maßnahmen zählen u. a. die dogmatische Fassung burschenschaftlicher
Grundsätze , die dadurch bewirkte Eingrenzung sanktionsfrei artikulierbarer Meinun-
gen460 , die Entmutigung bzw. Sanktionierung von ( Selbst-)Kritik und Nonkonformis-
mus , die Belohnung konformen Verhaltens und die Ausblendung von Minderheitsmei-
nungen durch ein strikt gehandhabtes Delegiertenprinzip. Ebenso begünstigend für die
geistige Erstarrung der Burschenschaften in Österreich wirkte sich die Erhebung von
‚Standhaftigkeit‘ zu einer Norm aus , an deren Befolgung die interkorporative Zuer-
kennung von Prestige eng geknüpft war : Am meisten Ansehen genossen Bünde , die
möglichst wenig Zweifel an den tradierten Ideen und Bräuchen erkennen ließen und
sich entsprechend ‚grundsatztreu‘ zeigten. Zweifel galten als Zeichen von ( Charak-
ter-)Schwäche , widersprachen dem burschenschaftlichen Männerbild des ehrenfesten
und wehrhaften Soldaten und wurden somit bevorzugt gar nicht , zumindest aber nicht
vor anderen ( im räumlichen wie auch im chronologischen Sinn ) geäußert. Besonders
wandlungshemmende Wirkung gewann der Imperativ der Grundsatztreue dort , wo in-
nerburschenschaftliche Autoritäten die dabei beschworenen Grundsätze nicht nur als
überzeitlich gültig postulierten , sondern sie auch der fortwährenden Reinterpretation
unter veränderten Umfeldbedingungen entzogen.461 Wo dagegen Individualität nicht
unter Strafe gestellt und Debatten nicht ausgewichen wurde ( wie ansatz- und phasen-
weise bei den Innsbrucker und Oberösterreicher Germanen ), konnten Reformimpulse
auf fruchtbaren Boden fallen.
während „radikale Geister“ Bünden „wie B ! Teutonia oder B ! Olympia“ zugetrieben würden. Da diese
dadurch mehr Zulauf erhielten als gemäßigte , verschiebe sich „das Spektrum tatsächlich in jenes Kli-
schee , welches die Burschenschaft als solche im gesellschaftlichen Rahmen seit 1945 erfüllt“ ( Brief von
Christ an Tulzer vom Sommer 1989 , zit. in Oberösterreicher Germanen 1994 , 127 ).
459 Kuhn 2002 , 91.
460 Ein plastisches Beispiel hierfür liefert eine Abstimmung vom Burschentag der DB 1975 , bei der auf
öster reichische Initiative hin mehrere bundesdeutsche Bünde für ihr Stimmverhalten
– präziser : für die
diesem „zugrundeliegende Intention“ – bestraft wurden ( vgl. dazu Kapitel IV.3.2 ).
461 Dies ist etwa der Fall , wo gefordert wird , „Vaterland“ noch im 21. Jahrhundert im Sinne des ‚Liedes der
Deutschen‘ von 1841 zu deuten , andernfalls man Verrat an der burschenschaftlichen Überlieferung be-
gehe.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619