Page - 246 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945

III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 246 freiheitlichen Akademiker eine nüchternere Einschätzung ihrer Rolle in Reformpro- zessen : Es sei ungerecht , ihnen ihr Festhalten an einer überholten Auslegung des „na- tionalen Gedanken( s )“ vorzuwerfen. Wer „voll Idealismus Hitler gefolgt“ sei und „dafür oft schwer gelitten“ habe , würde sich schließlich andernfalls „selbst aufg( e )ben“. „Ge- fährlich“ sei es jedoch , wenn keine Debatten stattfänden und „daß Kritik nicht selten unterbunden wird“, denn dies befördere „Erstarrung“. „Die ältere Generation“ sollte da- her , so Scheichl , einer neuen , sachlicheren Herangehensweise an Gegenwartsprobleme keine Hindernisse in den Weg legen , „auch wenn dabei manches preisgegeben werden wird , das heute noch vielen als heiliger , ja ewiger Bestand gilt“.487 Bei den Oberöster- reichern argwöhnte Sprecher Norbert Nagele 1973 , die chronische Abwesenheit vieler Alter Herren könnte eine „geistige( ) Entfremdung zwischen Aktivitas und Altherren- schaft“ und schließlich einen „Bruch“ zur Folge haben , zumal die Aktivitas  – und of- fenbar nur sie  – sich „geistig fortentwick( le )“.488 Neben solchen Stimmen aus den Burschenschaften sprechen auch Einschätzungen von außerburschenschaftlicher Seite für eine Wahrnehmung der Altherrenschaften als ( meist ) Reformverhinderer. Beispielsweise attackierte ein Redner der ÖCV-Ver- bindung Nordgau Wien 1955 die Alten Herren völkischer Verbindungen ob deren ver- meintlich „verbohrte( r ) Haltung“ und stellte ihnen ihren eigenen Nachwuchs gegen- über , der  – so der Redner  – die Lektionen aus der Geschichte gelernt habe.489 Auf einer allgemeineren Ebene weist Wintersberger darauf hin , dass gerade das Lebens- bundprinzip , also die Nicht-Beschränkung auf studentische Mitglieder , dem Wan- del der Burschenschaften von einer ( in ihren Anfängen ) Jugendbewegung zu zah- lenmäßig von Alten Herren dominierten und in ihrer politischen Stoßrichtung eher konservativen Vereinigungen zugrunde liege.490 Vor dem Hintergrund all dessen ver- wundert es nicht , dass Neuerungen in den Burschenschaften üblicherweise gegen die Alten Herren bzw. den Großteil derselben durchzusetzen waren und von ihnen we- niger gefördert als höchstenfalls toleriert wurden.491 Bei der Vorbringung einschlägi- ger Wünsche pflegten die Aktiven dementsprechend vorsichtig vorzugehen.492 Schon aufgrund der erwähnten ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse und der für grund- 487 Germanenmitteilungen , März 1967 , 8 bzw. 16. 488 Zit. n. Oberösterreicher Germanen 1994 , 28 f. 489 AUW , S 259.106 , Rede anlässlich der Kranzniederlegung der K. Ö. H. V. Nordgau in der Aula der Uni- versität Wien vom 18. 6. 1955 , 8 ( vgl. auch 10 ). 490 Interview vom 4. 1. 2012. 491 Dies galt auch für den RFS , der sich 1970 „von der bisherigen ideologischen Dominanz des ( … ) Frei- heitlichen Akademikerverbandes“ zu lösen versuchte ( Stimmer 1997 , Band II , 1041 ). Auch hier bestand ein ( wenn auch durch FPÖ und ÖH-Strukturen weniger totales ) finanzielles Abhängigkeitsverhältnis der Jungen von den Alten. 492 Vgl. etwa den Text von Wolfgang Gidl in den Germanenmitteilungen vom Dezember 1963 , 5–8. Der Au- tor ersucht bereits einleitend um „größtmögliche( ) Aufgeschlossenheit“ ( ebd., 5 ) für seine Ausführun-