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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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einer oppositionellen Grundhaltung und einem ausgeprägten Elitenbewusstsein. Beide
Dispositionen haben die Burschenschaften durch ihre gesamte Geschichte begleitet.
Die burschenschaftliche Opposition gegen jeweils herrschende Kräfte und Ideen war
dabei in ihrer Stoßrichtung uneinheitlich : Sie trat als Aufbegehren für politischen und
sozialen Fortschritt ( in der revolutionären Frühphase der Bewegung ) ebenso zutage
wie als Abwehrkampf gegen diesen , formierte sich gegen Willkürherrschaft , Zensur
und Repression in der Donaumonarchie ebenso wie unter dem Hakenkreuzbanner , um
ein noch höheres Maß an Unfreiheit zu verwirklichen als diese. Dass burschenschaft-
liche Geschichte in Österreich „nicht wie in Deutschland über weite Strecken harmo-
nisch mit der staatlich-politischen Entwicklung“ verlief , „sondern kontrovers“, liegt we-
sentlich im burschenschaftlichen Pangermanismus ( ob als ‚Anschluß‘-Forderung bis 1938
oder in stärker kulturnationalistischer Präsentation nach 1945 ) begründet , der die öster-
reichischen Bünde immer wieder mit der Staatsraison in Konflikt brachte.499 Nicht zu-
letzt deshalb erzielten sie ihr historisch wohl höchstes Maß an Übereinstimmung mit ei-
nem politischen Regime zwischen 1938 und 1945
– einer Zeit , in der sie nicht nur deutsch
fühlen ‚durften‘ , sondern auch in einen großdeutschen Staat eingegliedert waren.500 Ihre
umfangreichen historischen Repressionserfahrungen verliehen ihnen eine gewisse Non-
chalance im Umgang mit äußerem Widerspruch – einschließlich sachlicher Kritik –
schlechthin. „In der 200-jährigen Geschichte der Burschenschaften waren die selten von
der Staatsmacht geliebt , meistens sehr misstrauisch beachtet , und aus dieser Erfahrung
heraus machen wir uns nicht sehr viel aus der öffentlichen Meinung über uns“, gab Die-
ter Derntl ( Libertas ) 2012 gegenüber dem ORF zu Protokoll.501
Die historische Grundlage des Elitenbewusstseins der Burschenschaften lässt sich
–
wie im Fall ihrer Oppositionstradition – in ihrer politischen Avantgardefunktion in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verorten. Stimmer weist zudem darauf hin , dass
schon im Vormärz ein Universitätsabschluss allein das berufliche Fortkommen nicht
gesichert und sich somit die Vorstellung herausgebildet habe , „daß man über die for-
male Wissensqualifikation hinaus elitäre Kriterien braucht , um sich für bestimmte Po-
499 Cerwinka 2009 , 91. Cerwinka unterstreicht die „Spannung zwischen Volkstumsbekenntnis und Staats-
loyalität“, die ausgehend vom „letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bis heute aktuell“ sei ( ebd., 109 ).
500 Dass die Burschenschaften in Österreich nach 1945 angehalten wurden , ihrem Deutschtumsbekennt-
nis abzuschwören , um wieder Salonfähigkeit zu erlangen ( während die bundesdeutschen sich lediglich
vom Nationalsozialismus zu lösen hatten ), sieht Klaus Oldenhage als Ursache nicht nur ihrer Oppo-
sitionshaltung , sondern auch ihrer im Durchschnitt ( völkisch-)orthodoxeren Ausrichtung ( Gespräch
vom 31. 3. 2011 ). Tatsächlich kamen sie der erwähnten Erwartungshaltung nicht nach , sondern reagier-
ten mit umso kompromissloser ( und umso ostentativer ) gepflegtem Deutschnationalismus.
501 ORF-Report vom 19. 6. 2012. Auf derselben Linie argumentierte Gothia bereits 1957 gegen Bedenken ,
eine Fusion mit der DB könnte zum damaligen Zeitpunkt staatliche Repression nach sich ziehen : Es
werde „kaum jemals eine österreichische Regierung geben ( … ), die uns besonders gewogen sei“ ( BAK ,
DB 9 , E. 4 [ A1 ] Niederschrift des ADC-Tages 1957 , 14 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619