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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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onalen , bei der Scheichl gerade nicht stehen geblieben war.611 Eine bemerkenswerte
Ausformung hiervon brachte von bundesdeutscher Seite Horst Baier ( Germania Erlan-
gen ) 1960 vor , indem er den „nationalen Gedanken( ) ( … ) gegen seine Verabsolutierung
und Vergötzung als Pseudo-Religion oder als nationalistischer Totalitarismus“ vertei-
digte.612 Auch Scheichl ortete in seiner Linzer Rede eine „Tendenz , aus dem National-
gefühl eine Ersatzreligion , aus dem Volk einen Ersatzgott zu machen“; die „völkische
Idee in ihrer bisherigen Form“ sei aufgrund ihrer Verwurzelung „im Irrationalen“ zur
Bewältigung der Gegenwart und Planung der Zukunft ungeeignet , zumal in einer von
Verstand , Technik und Wissenschaft dominierten Welt.613 Tatsächlich weist , wie schon
am Ende von Abschnitt III.5 angemerkt , burschenschaftliche Ideologie gerade in ihrer
österreichischen Ausformung eine enge Verwandtschaft mit religiösem ( dogmatischem ,
irrationalistischem ) Denken auf. Das ‚deutsche Volk‘ als vermeintlich naturwüchsige ,
homogene Entität stellt ein metaphysisches Konstrukt dar , dessen Existenz schlicht
geglaubt werden muss.614 Ähnlich der soldatischen Männlichkeit wird das Volk perfor-
mativ hergestellt , indem die Gläubigen seine Existenz einander und anderen beständig
einreden und jene Verhaltensweisen und Tugenden imitieren , die den vermeintlichen
Volkscharakter kennzeichnen sollen.615 Eine wichtige Hilfsfunktion kommt dabei dem
611 Vgl. zur burschenschaftlichen Nationalismus-Kritik als Pochen auf das ‚richtige Maß‘ etwa auch Si-
gurd Weyringer ( Arminia Graz ) in den Burschenschaftlichen Blättern Nr. 1 / 1957 , 10 ; Karl Lisch ( Brixia )
in den BBl. Nr. 7 / 1961 , 201 ; Aldania 1994 , 111.
612 BAK , DB 9 , C. IV.2 [ A1 ], VaB-Mitteilungen Nr. 23 / 1960 ( Vorort Bremen ), 10. Baier saß zu dieser Zeit
dem Geschäftsführenden Ausschuss der Verbändetagung ( GAVT ) vor. Seine akademische Karriere als
Soziologe begann Baier unter dem ehemals überzeugten Nationalsozialisten Helmut Schelsky , später
bekleidete er den vormaligen Lehrstuhl Theodor W. Adornos in Frankfurt/Main.
613 Germanenmitteilungen , März 1967 , 11 bzw. 12.
614 Nicht von ungefähr forderte Marcho Teutonia , man möge „die Liebe zum Volk wie ein Glaubensbekennt-
nis im Herzen tragen“ ( BAK , DB 9 , B. VI.15 [ B ], Protokoll der Verbändetagung von DB und DBÖ
1960 , 4 ), und beinhaltete ein Vorschlag des DBÖ-Referenten für burschenschaftliche Arbeit für eine
Veranstaltungsreihe 1961 den Programmpunkt „Metaphysische Grundlagen des Volkstums“ ( BAK , DB
9 , E. 4 [ B1 ], DBÖ-Rundschreiben Nr. 3 [ Brixia ] vom 8. 2. 1961 , 3 ). Vgl. auch die Anmerkung des Ost-
markenkartells ( gemeinsam mit Libertas ), wonach man das deutsche Volkstumsbekenntnis aufrechter-
halte , „ohne dem Staate , in dem wir leben vorzuenthalten , was des Staates ist“ ( BAK , DB 9 , E. 1 [ B1 ],
Anlage 1 zum ADC-Rundschreiben Nr. 8 [ Albia ] vom 14. 4. 1958 , 1 ). Die Anspielung auf die entspre-
chende Bibelpassage ( Mt 22 , 21 ) weist die Staatsbürgerschaft als der Sphäre weltlicher Herrschaft , des
Profanen zugehörig aus. Das Volkstumsbekenntnis entspricht in dieser Analogie der Sphäre des Glau-
bens , des Transzendenten und Geheiligten. Vgl. zum religiösen Gehalt völkischen Denkens auch Arendt
1955 , 353 und 367 sowie Magdalena Marsovszkys Überlegungen zur „Sakralisierung der Nation“ am Bei-
spiel des heutigen Ungarns ( Marsovszky 2013 , 57–67 ).
615 Vgl. dazu Wolfgang Fritz Haugs Bemerkungen zur „Performativität der Volksgemeinschaft“ ( Haug
1980 , 73 f. ), Abschnitt III.3.2 sowie den Hinweis , dass die Burschenschaften das „nationale Bewußt-
sein der Deutschen ( … ) vielfach ( … ) erst geschaffen“ hätten ( Lönnecker 2009b , 4 ). In Erwägung der
Tatsache , dass das Volk erst in jenem Moment gesellschaftliche Relevanz erlangte , in dem es Gläubige
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619