Page - 297 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Image of the Page - 297 -
Text of the Page - 297 -
III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt
297
einer etwaigen sozioökonomischen Funktionalität des völkischen Nationalismus der
Burschenschaften zu beleuchten. Bereits in Abschnitt III.2.1 wurde darauf verwiesen ,
dass der Burschenschafter ( verstanden als Idealtypus ) trotz seines Gestus fortwähren-
der Selbstverleugnung bzw. Selbstaufopferung kein interessenfreier Akteur ist , sondern
seine Klassen- , Geschlechter- und ethnische Position sich vielmehr in den Idealen nie-
derschlägt , die er beschwört. Die Interessengebundenheit ( auch ) burschenschaftlicher
Ideologie offenbart sich allem voran anhand des Ideologems der Volksgemeinschaft ,
das seit jeher die Existenz widersprüchlicher Interessenlagen in kapitalistischen Gesell-
schaften leugnet und gerade dadurch spezifische Interessen ( an der Aufrechterhaltung
oder Wiederherstellung bestimmter Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse ) wahren
soll. Die Vorstellung und Behauptung , ‚im Interesse des Volkes‘ ( im Sinne von Volks-
gemeinschaft ) zu handeln , ist per se ideologisch , da es ein solches einheitliches Inte-
resse nicht gibt und aufgrund des Charakters von Volksgemeinschaft als bloße ideolo-
gische Figur auch nicht geben kann. Sehr wohl existent sind dagegen Interessen von
Klassen , Gruppen und Individuen , die im Wege der Konstruktion eines vermeintlichen
allgemeinen Volksinteresses hinter eben jenem Konstrukt verschwinden. Ethnisierung
des Sozialen – die Umdeutung sozialer in ethnische Widersprüche – ist der zentrale
Mechanismus völkischen Denkens , Wahrung der angesprochenen Interessen seine re-
ale gesellschaftliche Konsequenz.
Damit sei allerdings nicht einer Vorstellung das Wort geredet , die völkische Politik
als bewusste Irreführung , als Verschleierungstaktik bestimmter Akteure begreift. Natio-
nalismus ist zunächst insofern als Strukturprinzip kapitalistischer Gesellschaften zu be-
stimmen , als die soziale Exklusion bestimmter Gruppen die systemnotwendige Bereit-
schaft derselben herstellt , unter Lohnniveau zu arbeiten ( so , wie geschlechtsspezifische
Rollenerwartungen die ebenfalls systemnotwendige unbezahlte Arbeit von Frauen si-
cherstellen ). Davon zu unterscheiden sind die erwähnten spezifischen ökonomischen
Interessen bestimmter Klassen , Gruppen und Individuen , auch wenn solche Interessen
sich mit allgemeinen Systemnotwendigkeiten treffen können. Mit Blick auf die frühe
Burschenbewegung ist etwa das Klasseninteresse des aufstrebenden Bürgertums zu nen-
nen , mit dem bürgerlichen Recht ( wie etwa auch mit der ‚Bauernbefreiung‘ von 1848 )
elementare Voraussetzungen einer geregelten Kapitalakkumulation durchzusetzen. Na-
tionalismus diente dabei dem bürgerlichen Emanzipationsprojekt als Einigungsideo-
logie.704 Um die Jahrhundertwende wiederum bestanden die ökonomischen Interessen
704 Gerne wird in der burschenschaftlichen Geschichtsschreibung von der führenden Rolle von Bur-
schenschaftern in der 1848er-Erhebung gegen die spätabsolutistische Herrschaft und von dem dabei
geschlossenen Bündnis von Studenten und Arbeitern berichtet. Diese Bundesgenossenschaft wurde
allerdings dort einseitig aufgekündigt , wo sie an die Grenzen des Klasseninteresses stieß. So ver-
harrte die Akademische Legion , in der erste Ansätze burschenschaftlicher Organisierung in Öster-
reich 1848 aufgegangen waren , in einer Position der Neutralität , als die ‚revolutionäre‘ Nationalgarde
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619