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IV. Praxis burschenschaftlicher Politik
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schen Korporationen insofern sehr zupass. Nach einem ersten Aufflackern im Zuge der
Borodajkewycz-Affäre 1965 machte eine Reihe von Ereignissen die Rolle von Österrei-
cherInnen im Nationalsozialismus und den bisherigen Umgang mit dieser zum Thema :
die ‚Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre‘ 1975 , die Ausstrahlung der TV-Serie ‚Holocaust‘
1979 , der Reder-Frischenschlager-Handschlag 1985 und schließlich die Causa Wald-
heim ab 1986. Jede dieser Kontroversen bildete einen Markstein zunehmender gesell-
schaftlicher Auseinandersetzung um geschichtspolitische Fragen und trug zu einer teil-
weisen Revision vorherrschender Narrative jedenfalls auf staatsoffizieller Ebene bei.141
In Wechselwirkung mit diesen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen ( und sie teil-
weise vorwegnehmend ) waren die studentischen Korporationen seit den 1970er-Jahren
in den Fokus einer gewisse Relevanz erlangenden Hochschul-Linken geraten. Diese
Entwicklungen ließen in burschenschaftlichen Kreisen die Erkenntnis reifen , dass eine
positive Fremdwahrnehmung ( als Bedingung für Rekrutierungserfolge , Salonfähigkeit
und somit politische Relevanz ) nicht erreicht werden könne , solange man allzu stark
mit der NS-Ära assoziiert wurde. In Reaktion auf diese Einsicht etablierte Geschichts-
politik sich als zweites zentrales Feld des burschenschaftlichen ‚Kampfes um die Köpfe‘
neben der Verfechtung des ‚deutschen‘ Österreichs.
Zwei ( miteinander kompatible und daher teilweise auch im Verbund auftretende )
Reaktionsweisen können dabei unterschieden werden : Zum einen suchte man das
Stigma abzustreifen , Bannerträger des Nationalsozialismus gewesen zu sein , indem
man , „( z )um Unterschied von der älteren Epoche burschenschaftlicher Geschichts-
darstellung in Österreich“, wieder verstärkt die Anknüpfung „an die ‚guten‘ Tradi-
tionen von 1848“ suchte.142 Dabei spielte
– neben taktischen Erwägungen
– sicherlich
auch die Absicht eine Rolle , die demokratiekompatiblen Stränge burschenschaftlicher
Geschichte auch inhaltlich verstärkt wieder aufzugreifen. Diese Bezugnahmen – in
Form einer Selbstdarstellung als ‚Erben der 1848er-Revolution‘ , ‚Vorkämpfer für bür-
gerliche Freiheitsrechte‘ , ‚Demokraten der ersten Stunde‘ usw. – scheinen im Zeitver-
lauf mit der Frequenz und Schärfe kritischer Medienberichte und politischer Attacken
auf Burschenschaften zugenommen zu haben ; in jedem Fall etablierten die erwähn-
ten Topoi sich schnell als Standardformeln zur Abwehr jeglicher Kritik. In Kombi-
nation mit grob irreführenden Darstellungen der eigenen Rolle vor und während der
141 Es handelt sich somit um ‚diskursive Ereignisse‘ im Sinne Margarete und Siegfried Jägers. Vgl. zu den
‚Transformationen des österreichischen Gedächtnisses‘ in der Zweiten Republik Uhl 2011. Zur Relati-
vierung der gängigen Annahme , insbesondere die Waldheim-Affäre habe einen nachhaltigen geschichts-
politischen Bewusstseinswandel unter breiten Bevölkerungsschichten herbeigeführt vgl. dies. 1992 , 15–
18 sowie Gehler 1995b , 658 f.
142 Cerwinka 2009 , 110. So widmete die Aula 1998 ihr Märzheft , anders als 1978 und 1988 , nicht dem run-
den Jahrestag des ‚Anschlusses‘ , sondern dem ( freilich noch ‚runderen‘ ) 150. Anniversar der ‚Märzrevo-
lution‘.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619