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IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn
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historische ‚Anschluß‘-Begeisterung und ihre Gründe ein Bewusstsein völkischer ‚Zu-
sammengehörigkeit‘ über die deutsch-österreichische Grenze hinweg wachgerufen , die
nach 1945 in Österreich kultivierte emotionale Distanz zu ‚den Deutschen‘ überbrückt
und somit der Deutschnationalismus als politisch-kulturelles Programm rehabilitiert
werden. Zum Zweiten versuchte man , anhand der Behauptung , dass doch die aller-
meisten irgendwie ‚dabei gewesen‘ seien , die eigene Stigmatisierung abzustreifen. Dass
Burschenschaftern verschiedentlich ihre NS-Involvierung vorgehalten wurde , ‚nur‘ weil
sie die Konsequenz besaßen , auch nach 1945 zu dieser Vergangenheit zu stehen , sich
‚opportunistischen‘ Lagerwechseln zu verweigern und an ihrem ‚deutschen Bekennt-
nis‘ festzuhalten , wurde von ihnen als ungerecht bzw. heuchlerisch empfunden.152 Be-
zeichnenderweise hinderte die Ablehnung eines Opferstatus für Österreich Burschen-
schafter nicht daran , die ‚Deutschen‘ in Österreich und anderswo sehr wohl zu Opfern
zu erklären
– freilich weniger des Nationalsozialismus als der alliierten Armeen ; für das
Andenken der Opfer der deutschen Rassenideologie und Vernichtungswünsche blieb
dabei in aller Regel kein Platz ( vgl. Kapitel II.5.3 ).
In Zusammenfassung des bisher Gesagten lässt sich festhalten , dass die burschen-
schaftliche Einmengung in geschichtspolitische Debatten nicht zuletzt durch die Wahr-
nehmung motiviert war , dass vorherrschende Darstellungen und Beurteilungen der
nationalsozialistischen Ära in Österreich sowohl der eigenen Salonfähigkeit im Wege
standen als auch der Restauration jener innigen deutsch-österreichischen Verbunden-
heit , welche die Burschenschaften auch für die Zweite Republik erstrebten. Beschäftigte
man sich in diesem Sinne zunächst vorrangig mit den historischen Ereignissen selbst ,
trat spätestens 1988 die Frage des ‚heutigen‘ Umgangs mit diesen Ereignissen in den
Vordergrund
– nicht zuletzt wohl unter dem Eindruck der erwähnten diskursiven Er-
eignisse , namentlich v. a. der damals noch ‚heißen‘ Waldheim-Debatte sowie des zur 50.
Wiederkehr des ‚Anschluß‘-Datums ausgerufenen Gedenkjahres. In seinem Rede-Ab-
druck zum „Gedenkjahr 1988 aus freiheitlicher Sicht“ propagierte Haider ( wie Lothar
Höbelt in derselben Aula-Ausgabe ) eine kühle , ‚ausgewogene‘ Geschichts betrachtung :
Vergangenheitsbewältigung solle der Geschichte keine „Gewalt antun“ und nicht in
„eine Schuldzuweisung an das eine oder andere politische Lager ausarten“. Anstatt ein
„Feme-Gericht( )“ abzuhalten und zu moralisieren , sei die „historische Wahrheit“ zu
ermitteln.153 Diese Forderungen entsprachen offenkundig nicht nur Geboten wissen-
152 Wenn nicht als Intention , so doch als Begleiterscheinung der erwähnten Narrative ist drittens eine Ten-
denz zur Legitimierung nationalsozialistischer Herrschaft auszumachen , gleichsam im Sinne der rhe-
torischen Frage : ‚Können Millionen Deutsche irren ?‘
153 Aula Nr. 3 / 1988 , 21 ; für den Artikel Höbelts
– der den Nationalsozialismus kurzerhand zum linken Pro-
jekt erklärt und so den Rechtfertigungszwang in geschichtspolitischen Debatten umzukehren sucht –
vgl. ebd., 23 f. Ähnlich wie Haider positionierte sich Andreas Mölzer zwei Jahre zuvor unter dem pro-
grammatischen Titel „Vergangenheits-Vergewaltigung“ ( Aula Nr. 3 / 1986 , 9 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619