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V. Burschenschaften und politische Parteien
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Diese völkische Motivation erklärt , gemeinsam mit der freiheitlichen Hoffnung ,
im Wege der Europäisierung den rot-schwarzen Proporz aufweichen zu können , die
Vorreiterrolle der FPÖ in Europabelangen gegenüber SPÖ und ÖVP.274 Schon in ih-
rem Kurzprogramm von 1956/57 hatte sie sich für einen „engen Zusammenschluß der
freien Völker und Staaten Europas auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung
und Selbstbestimmung“ ausgesprochen ; 1968 erklärte sie in ihrem Bad Ischler Pro-
gramm , was für die FPÖ wie auch für weite Teile der beiden langjährigen Großpar-
teien in dieser Diktion heute undenkbar wäre : „Ziel unserer Europapolitik ist die
Schaffung eines europäischen Bundesstaates“
– freilich „unter Wahrung der Eigenart
seiner Völker“.275 Unverändert geblieben ist seither , dass im freiheitlichen Verständ-
nis Europa nicht aus Menschen oder Staaten , sondern aus Völkern bzw. Volksgrup-
pen und Regionen aufgebaut sein soll.276 Gänzlich verschwunden , seit Haider „die
Europafahne einholte“277 , ist die positive Einstellung zur real existierenden Europäi-
schen Gemeinschaft bzw. Union. Diese war zuvor am umfassendsten bei prononciert
liberalen FPÖ-PolitikerInnen anzutreffen gewesen , während die vermeintliche kul-
turelle Homogenisierungswirkung der europäischen Integration auf völkischer Seite
seit jeher Skepsis bis Ablehnung hervorruft.
Inzwischen ist das völkische EU-Verhältnis weitgehend frei von früheren Ambiva-
lenzen. Auch parteiintern hat , beginnend mit Haider und vollendet unter Strache , eine
Angleichung stattgefunden : EU-feindliche Haltung umfasst heute – ungeachtet der
Motive – alle Parteisektoren und zeigt keinerlei Beschränkung auf deutschnationale
oder gar auf verbindungsstudentische Kernschichten. Auf allgemeinerer Ebene lässt sich
konstatieren , dass die Korporationszugehörigkeit spätestens vor dem Hintergrund der
unter Strache erreichten politisch-ideologischen Homogenität jegliche Tauglichkeit als
Distinktionsmerkmal in Sachfragen verloren hat , eine solche Tauglichkeit angesichts
der zwischen Korporierten bestehenden Meinungsverschiedenheiten aber vermutlich
auch nie besaß. Was die Frage der Themensetzung und der Intensität der Bearbeitung
von Themen betrifft , hat es allerdings den Anschein , dass die alten völkischen Kern-
anliegen an innerparteilicher Basis verloren haben. Dass und wie diese Felder weiter-
hin beackert werden , ist sehr wohl wesentlich auf das Wirken der alten Kernschichten
zurückzuführen. So wird das Deutschtumsbekenntnis heute fast ausschließlich noch
von korporierten bzw. dem völkischen Vereinswesen entstammenden FunktionärInnen
279 ). Vgl. dazu weiters das Plädoyer Alexander Götz’ von 1978 , „den Begriff nationale Politik mit dem
Inhalt europäischer Zusammenschluß [ zu ] erfüllen“ ( Piringer 1993b , 116 ).
274 Vgl. zu dieser Rolle Grillmayer 2006 , 100 ; Peter 1998 , 149 ; Fliszar 1991 ( dort auch S. 83 zu Europäisie-
rung und Proporz ).
275 Zit. n. Reiter 1982 , 255 bzw. 84.
276 Vgl. dazu etwa auch die von Fliszar ( 1991 , 85 ) zitierten Haider-Aussagen.
277 Peter 1998 , 149. Vgl. zur Europapolitik der Haider-FPÖ Bailer-Galanda/Neugebauer 1997 , 192–195.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619