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VI. Abschließende Überlegungen
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Ungeachtet der Überschneidung von liberalem und völkischem Interesse in die-
sem Punkt , welche der Bezeichnung ‚national-liberal‘ ein Mindestmaß an realem Ge-
halt verleiht , unterscheiden liberale und völkische Demokratiekonzeptionen sich im
Stellenwert des Individuums deutlich voneinander. Bezeichnet Demokratie im libera-
len Verständnis einen Modus des Interessenausgleichs zwischen Individuen , agiert im
völkischen Denken das ‚Volk‘ als demokratisches Einheitssubjekt. Im Volksgemein-
schafts-Denken gibt es keine Interessengegensätze , gilt Konflikt als schädlich und zer-
setzend. Somit ist Demokratie in der im Burschenschaftswesen Österreichs dominanten
völkischen Sichtweise ideal nur in einer dezidiert nicht-pluralistischen Gemeinschaft
der sowohl ethnisch Gleichen als auch Gleichgesinnten realisierbar , wie die Rede vom
burschenschaftlichen Männerbund als ‚Parlament im Kleinen‘ unterstreicht. Es han-
delt sich hierbei klarerweise um eine Vorstellung , die mit der sozialen Realität moder-
ner Gesellschaften unvereinbar ist bzw. nur auf gewaltsamem , d. h. autoritärem Wege
durchsetzbar wäre.30
Fernab demokratietheoretischer Fragen beschränkt das Primat des Völkischen die
Funktionsfähigkeit von Burschenschaftern im Rahmen des österreichischen politischen
Systems auch in anderer Weise : Ihre oft gering ausgeprägte Bereitschaft ( oder auch
das Unvermögen ) zur taktischen Zurückstellung des völkischen Credos , auf welche im
folgenden Unterabschnitt noch näher eingegangen wird , stellt sie außerhalb des po-
litischen Grundkonsenses der Zweiten Republik. Zwar sei unter den Burschenschaf-
tern Österreichs „heute niemand mehr so dumm , dass er glaubt , die deutsche Nation
in Österreich habe noch irgendeinen politischen Wert“, und wisse jeder , dass wieder-
kehrende Deutschtumsbekenntnisse „in der österreichischen Politik nicht mehr funk-
tionieren“, meint der Innsbrucker Germane Sigurd Scheichl. Nichtsdestotrotz seien viele
Burschenschafter nicht bereit , sich selbst auf rein pragmatischer Basis mit dem öster-
reichischen Nationalgedanken zu arrangieren und zögen solcher Kompromissbildung
die politische Enthaltsamkeit vor.31 Die von Burschenschaftern im Rahmen der FPÖ
häufig vollzogene Vermittlung von Deutschnationalismus und Österreich-‚Patriotismus‘
durch die Bestimmung ( Groß-)Deutschlands als ‚Vaterland‘ und Österreichs als ‚Hei-
mat‘ kann offenbar für den einzelnen Burschenschafter-Politiker ein tragfähiges Arrange-
ment darstellen , ist jedoch immer noch geeignet , Irritationen hervorzurufen – sowohl
unter potenziellen WählerInnen als auch unter potenziellen politischen PartnerInnen.
Die Beibehaltung des Deutschnationalismus in wie auch immer argumentierter Form
30 Erinnert sei an dieser Stelle an die Einsicht des ‚Aussteigers‘ Jürgen Hatzenbichler , wonach „( w )as an
Nation zustande kommen soll , ( … ) erzwungen werden“ müsste , weshalb die Nationsentwürfe der poli-
tischen Rechten „entweder haarscharf am Totalitarismus vorbeischramm( en ) oder direkt darauf zu( lau-
fen )“ würden ( Junge Freiheit Nr. 44 / 1998 , 16 ). Vgl. auch Schiedel 2007 , 34.
31 Interview vom 8. 6. 2012.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619