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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten68
ten aber die Möglichkeit eines Ausbaus der landesherrlichen Macht in Kärnten zu-
nächst nicht. Für sie waren die Entwicklungen in diesem Land ein Nebenschauplatz.
Sie weilten daher nur selten in Kärnten, es gab hier ja auch keinen landesfürstlichen
Hof. Die Tatsache, dass Kärnten nun ein Glied in der Kette zusammenhängender
Besitzungen wurde, führte dazu, dass für die Habsburger die Landeseinheit nicht
von vordergründigem Interesse war, solange die einzelnen Gebiete innerhalb der
Dynastie blieben.51 So konnte man sich nur schrittweise, im Laufe des 14. Jahrhun-
derts zunächst in Unterkärnten, konsolidieren, in Oberkärnten hingegen gelang es
erst im 15. Jahrhundert, sich gegen lokale Adelsfamilien zu behaupten und damit die
Landeseinheit weiter auszubauen.52
Während die weltlichen Konkurrenten im Laufe des 15. Jahrhunderts weitgehend
ausgeschaltet werden konnten, erwies sich die territoriale Integration der kirchlichen
Besitzungen als problematisch. Als in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts das Pat-
riarchat Aquileia unter den Einfluss Venedigs gelangte, verkomplizierte sich die Situ-
ation. Die Habsburger trachteten nun danach, den Einfluss Aquileias auf die Gebiete
südlich der Drau gering zu halten und so gründete man 1461 das Bistum Laibach, das
zwar ebenfalls klein war, dem aber in Kärnten immerhin einige Pfarren südlich und
vereinzelt sogar nördlich der Drau unterstellt waren. Eine Verbesserung der kirch-
lich-administrativen Situation in Kärnten bedeutete dies allerdings keineswegs.53
Was das Bistum Gurk und das Emanzipationsstreben seiner Bischöfe von Salzburg
betraf, war die Unterstützung durch die Habsburger die logische Folge ihrer Kon-
kurrenz zu Salzburg. Die Habsburger konnten durch ihre guten Beziehungen zum
Papsttum immer stärker die Bischofsbestellungen in Gurk mitbestimmen und schluss-
endlich als Erbvögte das Bistum weitgehend unter ihre Kontrolle bringen. Dement-
sprechend kamen die Gurker Bischöfe in weiterer Folge aus der direkten Umgebung
der Habsburger.54 Der dennoch bis ins 16. Jahrhundert andauernde »Gurker Bistums-
streit« geriet bald zu einem komplexen Interessenkonflikt, in den sich nun auch das
Domkapitel und der Papst einmischten. Langfristig gingen die Habsburger als Sieger
aus diesem Machtkampf hervor, womit die Dynastie zu Beginn des 16. Jahrhunderts
ein langes Ringen um die Nutzung kirchlicher Verwaltungsstrukturen für den eige-
nen Herrschaftsbereich zu ihren Gunsten entschieden hatte.55
51 Neumann, W.: Kärnten – Grundlinien (1985), 33 f.
52 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 420, 577 f. und 591 ; Stejskal, H.: Kärnten (1991), 96.
53 Domej, T.: Die Kirchen (2000), 177–180.
54 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 339 f.
55 In diesem Kontext konnten die Habsburger sich schlussendlich auch die päpstliche Genehmigung zur
Errichtung der Bistümer Wien und Wiener Neustadt sichern und sich aus dem Jurisdiktionsbereich
Passaus bzw. Salzburgs lösen. Loidl, F.: Die Diözesanorganisation (1972), 35 f.; Fräss-Ehrfeld, C.: Das
Mittelalter (1984), 441 f.; Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 118–121.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353