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77Das
Konfessionelle Zeitalter
Ein weiteres Machtinstrument der Landstände war die Landesverwaltung, mit
der man sich vehement dem zentralistischen Ausbau des maximilianischen Behör-
densystems entgegenstemmte. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts hatten die Stände
ihre Verwaltungsinstrumentarien sukzessive verfeinert und eine Geschäftsordnung
entworfen. Ihr Beamtenstab war deutlich umfangreicher als jener der landesfürst-
lichen Verwaltung im Land, die lediglich aus Landeshauptmann, Landesverweser
und Vizedom bestand.85 Das unbestrittene Machtzentrum war Klagenfurt, dessen
Rechtsstellung ebenfalls als Sonderfall zu betrachten ist.86 Nachdem Klagenfurt 1514
einem schweren Brand zum Opfer gefallen war, schenkte Kaiser Maximilian 1518 die
Stadt den Ständen. Dadurch gab er zugleich sämtliche landesfürstlichen Privilegien
preis. Im Gegenzug mussten die Stände den Wiederaufbau der Stadt als Festung
zusichern.87
Soziologisch betrachtet liegt in dieser außerordentlichen Machtstellung der
Kärntner Stände auch ein Ursprung für die in der politischen Kultur Kärntens bis
heute ausgeprägte Form von Nepotismus, »der es den heimischen Eliten möglich
machte, die nötige Monopolisierung der Ämter und Stellen innerhalb der landes-
fürstlichen und landständischen Verwaltung auf Dauer zu sichern. Der Zugriff von
außen wurde damit ebenso erschwert wie die Stabilität im Inneren erhalten werden
konnte. Nepotismus wurde dadurch zu einem struktur- und funktionsimmanenten
Verhalten, wenn nicht zu einer Notwendigkeit und blieb lange, wenn nicht bis heute,
selbstverständlich.«88
Der Widerstand der Kärntner Stände gegen die Habsburger Zentralherren
hat sein sozialgeschichtliches Pendant im Widerstand der Bauern gegenüber der
grundherrlichen Patrimonialgewalt. Die Tatsache, dass Kärnten nie einen starken
Hochadel hervorgebracht hatte und sich hier auch keine Großgrundherrschaften
etablierten, wirkte sich zu Beginn des Konfessionellen Zeitalters wesentlich auf die
sozioökonomische Situation der Bauern aus. Anders als in anderen Gebieten der
85 Der Landeshauptmann geriet im Laufe des 16. Jahrhunderts in seiner Funktion in gewisser Weise
zwischen die Fronten. Er war einerseits höchster Repräsentant der Landesfürsten, also der Habs-
burger, fühlte sich aber andererseits den Ständen verpflichtet. Ihnen musste er an den Landtagen die
Steuerforderungen des Landesfürsten vortragen, zugleich wurde er dem Fürsten von den Ständen
vorgeschlagen und bezog den Großteil seines Salärs von diesen. Ebd., 354 f.
86 Ebd., 348–355. Einen weiteren diesbezüglichen Sonderfall stellte das Amt des Burggrafen dar, der als
Vorsitzender des »Verordneten Ausschuß«, des landständischen Exekutivorgans, umfangreiche Befug-
nisse erlangte. Der Burggraf hatte die »innerhalb der deutschen Rechtsgeschichte nur für Kärnten
nachweisbare Position des von den Ständen allein abhängigen Oberhauptes derselben«. Ebd., 226 ;
Zeloth, T.: Gesellschaft Kärntens (2011), 29 f.
87 Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 220 f. Klagenfurt blieb im Wesentlichen bis zur
Märzrevolution 1848 in der Hand der Stände. Ebd., 226.
88 Dorner-Hörig, C.: Habitus und Politik (2014), 125.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353