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81Das
Konfessionelle Zeitalter
prozess der Kirche den eigenen Einfluss, vor allem auf kirchliche Vermögenswerte,
entscheidend zu steigern.104
So hatte sich gegen Ende der 1520er Jahre der Kärntner Adel als wesentliche
Trägerschicht der Reformation etabliert. Zwar vermied man es, sich offen gegen den
katholischen Landesfürsten zu positionieren, der schwere Strafen androhte, diese
allerdings nur selten exekutierte. Über die Patronats- und Vogteirechte sicherte man
sich aber den Zugriff auf die kirchlichen Organisationsstrukturen und stellte selbst
lutherisch gesinnte Prediger ein, die man nicht selten aus dem niederen katholischen
Klerus rekrutierte.105 »Diese ›Reformation von oben‹ ergänzte die gleichlaufende,
von den Gemeinden selbst vorangetriebene Bewegung.«106
In Klagenfurt wurde 1536 »die erste deutsche Messe« gehalten, das städtische
Schulwesen war ganz auf die neue Lehre ausgerichtet. Dies förderte bald den Zuzug
von evangelischen Predigern und Lehrern aus dem Ausland, allen voran aus dem
süddeutschen und böhmischen Raum. Auch in anderen Städten, wie bspw. in Wolfs-
berg im Schloss Bayerhofen, hatten die Kärntner Protestanten regelrechte »Hoch-
burgen« etablieren können. So breitete sich die Reformation in ganz Kärnten aus,
und zwar flächendeckend und vergleichsweise konfliktfrei, wenngleich man für Un-
terkärnten annehmen kann, dass sie nicht denselben durchschlagenden Erfolg hatte
wie im Rest Kärntens.107
Dem ständischen Adel war auch an einer Verbreitung der Reformation in den
slowenischsprachigen Gebieten Kärntens gelegen. Wie für andere Volkssprachen
auch war das lutherische Ideal, dem zufolge das gemeine Volk die Bibel selbst in
der eigenen Sprache lesen können sollte, für die slowenische Sprache ein wichtiger
Entwicklungsmotor gewesen.108 So wurde in der Klagenfurter Heiligengeistkirche in
slowenischer Sprache gepredigt, die Stände bemühten sich um Druck und Verteilung
slowenischsprachiger Bibeln in den entsprechenden Gebieten Kärntens. Der Man-
gel an slowenischsprachiger Literatur führte aber dazu, dass sich die Reformation
104 Mit kleineren Ausnahmen überdauerte aber die Kärntner Kirchenstruktur die Reformation ohne
größere Umwälzungen. Ebd., 272–274.
105 Leeb, R.: Die Reformation (2011), 89 f.
106 Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 274.
107 Ebd., 371–375 ; Leeb, R.: Reformation (2000), 203 ; Leeb, R.: Die Reformation (2011), 88. Ein paar
tief katholisch geprägte Städte und Ortschaften konnten sich langfristig gegen reformatorisches Ge-
dankengut »wehren«, wie bspw. die Salzburger Stadt Friesach, Tainach, Maria Saal oder das untere
Lavanttal um St. Andrä und St. Paul. Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 380–384.
108 Zu den engagiertesten Protestanten, die sich um die Belebung der Reformation unter den Slowenen
bemühten, zählten zum einen der slowenische Bibelübersetzer Primus Truber, der aus seiner Heimat
Krain nach Tübingen ausgewiesen wurde. Zum anderen war es Hans Ungnad von Sonneck, der aus
Kärnten nach Württemberg auswanderte und von dort die Versorgung Kärntens mit reformatori-
schem Schriftgut, vor allem in slowenischer und mitunter auch italienischer Sprache vorantrieb. Leeb,
R.: Die Reformation (2011), 91 f.; Neumann, W.: Wirklichkeit und Idee (1985), 86.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353