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91Das
Konfessionelle Zeitalter
katholische Bestimmungen ergänzt, wie die »obligatorische Osterbeichte und Kom-
munion, Vorlage von Beichtzetteln, Verbot lutherischer Bücher und des ›Auslaufens‹
zu evangelischen Gottesdiensten, katholische Fastengebote u. a.«155
Katholische Seelsorger waren in diesem Prozess zu regelrechten Überwachungs-
organen geworden, die Kirchenbesuch, Fastenzeiten und Beichte regelmäßig zu
kontrollieren hatten.156 Man zielte dabei sowohl auf die »Heilsbedürfnisse« der
Menschen ab als auch auf das alltägliche Verhalten. So wurden bereits in der ers-
ten Phase der Rekatholisierung evangelische Begräbnisse untersagt und Friedhöfe
zerstört. Verstorbenen, die zuvor nicht katholisch gebeichtet und die Kommunion
empfangen hatten, wurde die Beisetzung verwehrt. Wer der Verpflichtung zur jähr-
lich vorgeschriebenen Osterbeichte und zum Kommunionsempfang nicht nach-
kam, wurde in Verzeichnisse eingetragen und mit Strafzahlungen belegt. Beichtzet-
tel sammelte man mitunter von Haus zu Haus ein. Solche Aufgaben übernahmen
auch weltliche Organe wie Richter oder die Vizedome. Das Fleischverzehrverbot,
die Untersagung von Musik- und Tanzaufführungen sowie von Hochzeiten in der
Fastenzeit gehörte zu den Maßnahmen zur Wahrung äußerlicher Katholizität. Dass
diesen Verboten häufig nicht Folge geleistet wurde, zeigen die Akten, wie sie Johann
Loserth157 bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert ausgewertet hat und von Rudolf K.
Höfer zusammengefasst wurden. Beschwerden über die »Verachtung der geistlichen
und weltlichen Obrigkeit«158 durch Wirte und Fleischhacker, die zum Fleischessen
luden, oder über »Tanz- und Maskenspiel«159 finden sich darin zuhauf.
Die geringe Akzeptanz der (kirchlichen) Obrigkeit zeigen auch tätliche Ausein-
andersetzungen zwischen Bevölkerung und Geistlichkeit.160 Aus dem Jahr 1699 ist
ein tätlicher Übergriff auf den Abt von Arnoldstein und die ihn begleitenden Sol-
daten überliefert. Die Auseinandersetzung forderte einen toten Soldaten und zwei
tote Bauern. Der Abt beschwerte sich beim bambergischen Vizedom in Wolfsberg
über die »Aufsässigkeit dieser ›lutherischen‹ Bauern« und bemängelte ihre Grobheit,
Halsstarrigkeit und Untreue.161
155 Ebd. Die Disziplinierung der Untertanen war jedoch keineswegs ein Anliegen des Landesfürsten
allein, denn auch die Grundherren versprachen sich von einer gesteigerten Disziplin der Untertanen
die Steigerung des ökonomischen Ertrags und damit die Zunahme der eigenen Machtstellung. Ebd.,
324–327 ; Kuzmics, H./Axtmann, R.: Autorität (2000), 88 f.
156 Tropper, C.: Der Geheimprotestantismus (2011), 298–302.
157 Loserth, J.: Die Reformation (1970).
158 Höfer, R. K.: Gegenreformatorische Maßnahmen (2011), 209.
159 Ebd., 210.
160 Dazu auch Wiesflecker, P.: Bauernvolk (2017), 38.
161 Neumann, W.: Wirklichkeit und Idee (1985), 88.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353