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101Das
Konfessionelle Zeitalter
bildlichen Lebenswandel ermahnt. Sie mussten in Abstimmung mit dem Ortspfarrer
Hausbesuche machen, Seelenstandsverzeichnisse führen und regelmäßig Bericht ab-
statten. Für die von der Reformation infrage gestellten Sakramente (v. a. Firmung
und Krankensalbung) sollte geworben und die Wahrnehmung von Sonn- und Feier-
tagspflichten überprüft werden. Wer an lutherischen Versammlungen teilnahm oder
verdächtige Bücher nicht abgab bzw. die »gut katholischen« Bücher nicht annahm,
sollte angezeigt werden. Selbst die Auswahl an Liedgut in den Gottesdiensten sollte
auf deren Katholizität hin kritisch beäugt werden. Letztlich wurden Vorgaben für
das Beichtgespräch erlassen, die diesen Akt zu einem inquisitorischen Verhör werden
ließen.209
Auch die Grundherrschaften wurden in die Pflicht genommen. Keine Grundherr-
schaft durfte einen neuen Untertanen ohne sorgfältige Überprüfung seines religiö-
sen Lebens aufnehmen. Für die Missachtung dessen wurden nicht nur den Unterta-
nen, sondern auch den Grundherren und ihren Beamten Geld- und Körperstrafen
angedroht. Darüber hinaus sollten sämtliche Bücher in einer Pfarre den Pfarrern
zur Einsicht und Überprüfung vorgelegt werden, Zuwiderhandelnde sollten wie
Bücherschmuggler denunziert werden. Überhaupt förderte das Religionspatent das
Denunziantentum mit finanziellen Versprechungen massiv. Der Bücherschmuggel
sollte durch besondere Kontrolle von Bettlern, Handwerkern und sonstigen Rei-
senden eingedämmt werden. Akatholische (Haus-)Versammlungen wurden strengs-
tens untersagt und deren Gastgebern schwere Körperstrafen angedroht. Die Lehrer
(»Schulmeister«) sollten vom Pfarrer genauer auf Lebenswandel und Lehrinhalte
überprüft werden und durften ohne Approbation nicht unterrichten. Schulkinder
mussten ihre Zeugnisse vom Pfarrer beglaubigen lassen. Dies traf nun auch auf die
Anstellung von Beamten in den Grundherrschaften zu. Ihre Vorgesetzten wurden
angehalten, die religiöse Überzeugung ihrer Beamten peinlichst zu erforschen und
kontrollieren. In Wirtshäusern und in der Öffentlichkeit sollte nicht mehr über
religiöse Inhalte gesprochen werden, die Wirte wurden zur Kontrolle dessen bei
Androhung von Geldstrafen ermahnt und ihnen im Gegenzug bei Denunziation
die Strafzahlung als Prämie in Aussicht gestellt. Ebenso musste der Wirt die Sperr-
stunde einhalten und unsittliche Tänze anzeigen. Bei wiederholtem Zuwiderhandeln
von Wirtshausgästen wurde mit Zwangseinzug zum Militär oder Zuchthaus gedroht.
209 Ebd., 172 f. Verzeichnisse zu den vom Gurker Konsistorium untersuchten Fällen zeigen, dass die
häufigsten Widerstandshandlungen eben diesen Vorgaben entsprachen : illegaler Bücherbesitz, die
Verweigerung von Sakramenten – vor allem der Beichte und der Krankensalbung – oder der Ablegung
des Glaubensbekenntnisses sowie öffentliche »Ketzerei« waren die am häufigsten behandelten De-
likte. Erst in den 1770er Jahren gingen die vom Gurker Konsistorium untersuchten Fälle zurück.
Ebd., 219 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353