Page - 135 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Image of the Page - 135 -
Text of the Page - 135 -
135Hinführung
Indes waren die Interessen Nazi-Deutschlands an Österreich keineswegs nur
ideologische. Hitler brauchte die österreichische Rohstoffindustrie (Erzlagerstätten
bzw. Bergbau, Wasserkraft und Holzindustrie) für seine Aufrüstungspläne.32 So muss
der Staatsstreich von 1933 in erster Linie als eine Abwehrmaßnahme gegen die Inte-
ressen Hitler-Deutschlands gesehen werden. Die Ermordung Dollfuß’ verstand man
dann als ein außenpolitisches Signal, dass sich Österreich im Abwehrkampf gegen
den Nationalsozialismus befand.33 Um diesen Abwehrkampf ideologisch zu unterfüt-
tern, versuchte man eine »deutschösterreichische Identität« zu entwerfen, in der die
katholische Kirche eine wesentliche Trägerfunktion innehaben sollte.
Eine solche Identität konnte aber dort, wo sie aufoktroyiert wurde und nicht selbst
wachsen konnte, keinen Erfolg haben. Ungeachtet dessen gab man vor, das bessere
Deutschland sein zu wollen. So baute man auf die Wiederbelebung der alten habs-
burgischen Erinnerungstraditionen, die man nun mit einem neuen Österreichbild
zu kombinieren versuchte. Das waren nun also »gerade die Tradition der Monarchie
und das ›katholische Österreich‹, neben den Türkenkriegen [diente] ausdrücklich
auch die Gegenreformation als fundierende Erinnerung«34. Als Leitfiguren sollten
Maria Theresia und ihr Widerstand gegen den Preußenkönig Friedrich II. sowie
Graf Starhembergs und Prinz Eugens Widerstand gegen die Osmanen dienen.35
Hanisch weist darauf hin, dass der österreichische Ständestaat in gewisser Weise
strukturell den anderen europäischen autoritär-halbfaschistischen Regierungsfor-
men in Spanien und Portugal ähnlich war : Alle drei haben eine gegenreformatorische
Vergangenheit, alle drei seien vom Glanz einer großen Vergangenheit nostalgisch
geprägt, in allen drei Ländern sei die politische Kultur stark durch diese Vergan-
genheit geprägt. In Österreich war es der Rückgriff auf den Habsburgermythos, mit
dem man zugleich die Strategien der Gegenreformation wiederbelebte, vielfach aber
völlig an der Lebensrealität der Menschen in einer schon stark säkularisierten Ge-
sellschaft vorbeischrammte. »1933 schien dem Politischen Katholizismus in Öster-
reich der Zeitpunkt für eine neue Offensive, für einen neuen Kreuzzug, für eine
neue Gegenreformation gekommen ; wie gehabt, von oben, vom Staat gesteuert.«36
Die Symbolsprache des Regimes verdeutlicht das : Das Kruckenkreuz, in erster Linie
ein Imitat des Hakenkreuzes, lehnt sich nicht zufällig an die Kreuzzugsymbolik an.37
So zelebrierte man die »neue Gegenreformation« am »Allgemeinen Deutschen
Katholikentag« im September 1933, der »ganz unter dem Signum des Kreuzzuges,
32 Binder, D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 222.
33 Ebd., 205 f.
34 Bruckmüller, E.: Katholisches (2013), 48 ; vgl. auch Schwarz, K. W.: Johannes Heinzelmann (2014),
689–691.
35 Binder, D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 205 f.
36 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 54–60, hier 60.
37 Ebd.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353