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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«186
Es ist ja reines Schindluder, das da getrieben wird. Religion wird einfach zu Politik miss-
braucht u. die B.H. lässt das seelenruhig hingehen, macht sich ja geradezu mitschuldig am
Untergange des armen Staates sowie am Ruin der Menschenseelen.
Ich habe Ausgetretene vorgerufen u. mich um den ganzen Vorgang dabei erkundigt.
Man sagte mir, die Sache ist ganz einfach : ein Fräulein – also ein Tippfräulein wohl, fragt
den Vorgerufenen, ob er seine Austrittsmeldung aufrecht halte, er könne sich auch noch
anders entscheiden. Das ist doch kein Vorgehen nach den Intentionen des Gesetzgebers.
Anstatt er dort bekehrt u. zu anderer Überlegung geführt werden [sic !], eine belanglose
Frage durch ein Tippfräulein !
Herr Pfarrer Keller aus Neumarkt sagte mir, dass die B.H. in Murau einfach keine Aus-
trittserklärung zur Kenntnis nehme, weil es ja nur Politik ist, um so den Anschluss doch
durchzusetzen. […] Bei uns fehlt es wohl gar sehr bei den Behörden, die die Regierungs-
verordnungen einfach sabotieren !239
In einem späteren Bericht stellt Neuwirther fest :
Der B.H. in St. Veit ist wohl nicht zu trauen ! Nachdem es sich zweifelsohne um eine
Propaganda handelt, hätte die B.H. wohl die Pflicht auf § 122 lit. c. u. d. aufmerksam zu
machen, der besagt, ›es ist jeder Religionspartei untersagt, die Genossen einer anderen
Konfession durch Zwang oder List zum Übergang zu bestimmen.‹ Vielleicht ist die Sache
wert, dass das Fbg. Ordinariat die B.H. doch etwas auf diese gesetzl. Bestimmung aufmerk-
sam macht ?240
Ein konkretes Einwirken auf die gesetzlichen Bestimmungen bzw. deren Vollzug for-
derte aber nicht nur der Friesacher Geistliche, sondern auch der gesamte Klerus des
Dekanats Spittal a. d. Drau. In einem gemeinsam unterzeichneten Schreiben an das
Ordinariat formulierten die Seelsorger mehrere konkrete Forderungen bzw. Verbes-
serungsvorschläge der geltenden gesetzlichen Lage, die das Gurker Ordinariat direkt
an Wien richten solle :
Der gelegentlich der Congregationsversammlung 21. d. M. anwesende Clerus des Decana-
tes Spittal erlaubt sich in Anbetracht des besorgniserregenden Anschwellens der Abfallsbe-
wegung an das FB. Ordinariat mit der dringenden Bitte heranzutreten, bei der Bundesre-
gierung in Wien folgende Abwehrmaßnahmen vorzuschlagen :
1. Jede Abfallsanzeige beim Pfarramt durch die Partei soll abgewiesen werden. Weil derar-
tige Abfälle sichtlich politisch[en] u. nicht religiösen Motiven entspringen, die Partei hat
persönlich zu erscheinen.
239 Neuwirther, F.: Austritte Dekanatsamt Friesach (13.07.1935).
240 Neuwirther, F.: Austrittspropaganda Dekanat Friesach (24.05.1937).
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353