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189Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Die Seelsorger beteuerten durchwegs redliches Bemühen im Kampf gegen die
Aus trittsbewegung. »Wohl wurde seelsorglich durch Gebet (privat u. öffentlich),
Predigt und Hausbesuche entgegengewirkt, doch gegen diabolischen Trotz ist nicht
aufzukommen.«255 Manche gerieten trotz aller Bemühungen innerpfarrlich unter
Druck, wie bspw. der Lavamünder Pfarrer berichtete : »Trotzdem will man den Seel-
sorger stark verantwortlich machen u. darum bitte ich um Einleitung des Verfahrens
gegen mich, damit die Wahrheit an den Tag kommt.«256 Diese »Flucht nach vorne«
zeugt vom Bewusstsein, dass man als Pfarrer zwischen den Fronten und damit im
Brennpunkt der Kritik stand.
In manchen Fällen wird aber sicherlich die Persönlichkeit des Seelsorgers selbst
die Gräben vertieft haben, wie es die Schreiben vor allem des Altenmarkter Pfarrers
Paul Rudolph vermuten lassen. In dieser Pfarre dürfte es zu regelrechten Kleinkrie-
gen zwischen Bevölkerung und Pfarrer gekommen sein.
Da erschienen zwei Eheleute aus diesem [nationalsozialistischen] Lager und verlangten
ihren Geburts- und Trauungsschein zwecks Austritt aus der katholischen Kirche. Es wurde
wohl ihrem Wunsche nicht entsprochen, doch werden solche Leute sich von ihrem Vorha-
ben nicht abbringen lassen.
Aus derselben Verwandtschaft stand in der Fortbildungsschule ein Schüler auf und
sagte : Ich trete aus der katholischen Kirche aus. In jenem Hause ist der Führer der NP
daheim. Dort wird wahrscheinlich die ganze Familie aus der katholischen Kirche austreten.
Es geschieht das aus unbändiger Wut darüber, daß sie scheinbar als ›die Enterbten‹ sich
fühlen müssen.257
Diese »unbändige Wut« auf Kirche und Pfarrer äußerte sich vor allem im Religions-
unterricht des Altenmarkter Seelsorgers, den er an der örtlichen Landwirtschafts-
schule abhielt.
Unsere landwirtschaftlichen Fortbildungsschüler müssen von einer noch unbekannten
Seite in rohester Weise beeinflußt werden. Denn die Fragen, welche in der Religionsstunde
gestellt werden, sind förmlich vom Haß gegen die hl. kath. Kirche herausgehaucht.
Wie seinerzeit von Seiten erbitterter Sozialdemokraten gegen Bischöfe und Priester ge-
wettert wurde, so tun es landwirtschaftliche Fortbildungsschüler in Altenmarkt.258
255 Kohlmaier, A.: Abfallsbewegung Pfarre Millstatt (04.06.1934).
256 Oberguggenberger, L.: Abfallsbewegung Pfarre Lavamünd (10.01.1934).
257 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (07.12.1936).
258 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (05.02.1935).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353