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195Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Gefertigter hat sich bemüht[, den Apotheker J. L., Anm. d. Verf.] auf den rechten Weg
zu bringen, hat ihn u. die Kinder durch den Vinzenzverein unterstützt. Als Dank dafür
hat er kommunistische Blätter verkauft u. den Gefertigten im Kärntner Volksblatt wegen
christlicher Nächstenliebe angegriffen ; seine Frau ist wegen körperlicher Mißhandlung
von ihm fort, überdies war er über 1/2 Jahr im Irrenhaus in Klagenfurt. Heute ist er kon-
fessionslos.287
Undank für karitative Leistungen wie durch den St.-Vinzenz-Verein288 oder durch
die Winterhilfe,289 manchmal auch für finanzielle Zuwendungen aus der eigenen Ta-
sche290 erschien den Pfarrern als tiefsitzendes Ärgernis. In einem Fall war es die Un-
dankbarkeit für den persönlichen Einsatz des Pfarrers zugunsten eines in Wöllers-
dorf internierten Rechtsanwaltes, die den Geistlichen zutiefst kränkte und ihn auch
zu einer indiskreten Bemerkung (im letzten Satz des angeführten Zitates) hinreißen
ließ :
Der Austritt ist umso schmerzlicher, als sich der Seelsorger für diesen Mann über Bitten
der Frau besonders bemühte, den Gatten durch ein Gesuch ans Bundeskanzleramt frei zu
bekommen, was auch gänzlich gelungen ist. Aber so wie es dem Herrn niemals in den Sinn
kam, mit einem einzigen Worte dafür zu danken, so hat er mit der Kirche ganz gebrochen.
Sein Übertritt zum Protestantismus wäre ja gar nicht nötig, da er ja ohnehin sogut wie
Atheist ist. Die Frau ist (wohl weil kinderlos) im höchsten Grade hysterisch, sogenannte
Kettenraucherin u. kreuzverliebt in den protestantischen Vikar.291
287 Millela, A.: Abfallsbewegung Dekanat Völkermarkt (05.08.1933).
288 Vgl. dazu auch folgenden Fall : »In Spittal lebt ein schon 2mal apostasierter Concubinarier – geschie-
den von seiner Ehegattin – er erhielt vom St. Vincenz Verein öfters eine Unterstützung u. wurde
ermahnt sein ärgernis-gebendes Verhältnis zu lösen – seine Antwort war sein Austritt aus der kath.
Kirche samt seiner Concubine u. den 3 Kindern, weil er von den Protestanten zum Austritt animiert
wurde u. von denselben unterstützt wird.« Habernig, J.: Apostasie Stadtpfarre Spittal (20.02.1936).
289 In einem Fall war der Betreffende »ein brutaler Kunde, der bei Ausgabe der Winterhilfe, die ich
leitete, nie ohne stichelnde Bemerkungen sich entfernte, weil ihm alles zuwenig war«. Neuwirther, F.:
Abfallsbewegung Dekanat Friesach (08.08.1934).
290 »A. H. […] kam […] vor etlichen Monaten zu mir u. klagte sein Leid, dass er in ziemlicher Not ste-
cke ; ich erbarmte mich seiner, gab ihm 10 S. u. redete ihm recht tröstend zu, sich auf bessere Wege
zu begeben, was er auch versprach. Der Dank scheint fast am selben Tage der Abfall gewesen zu sein.«
Ebd.
291 Neuwirther, F.: Apostasien Stadtpfarramt Friesach (03.08.1937).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353