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199Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
»In Wolfsberg ist seit Mitte Juli305 ein eigener Pastor, Pfarrer Foelsche, den auch
Altprotestanten als Hetzer fürchten«306, wurde vom Wolfsberger Dechant Ende Juli
1933 berichtet. So wurde
[…] am Sonntag nach dem Verbote der nationalsozialistischen Parteiformationen zum
erstenmal nachmittags ein evangelischer Gottesdienst durch den Herrn Vikar Foelsche
abgehalten […]. Am evangelischen Gottesdienst haben von Katholiken St. Leonhards ins-
besonders die nationalsozialistisch organisierten jungen Forstbeamten und Angehörige ei-
nes schon früher abgefallenen hier gebürtigen Ingenieurs in Frantschach, der eingeliefert
worden war, teilgenommen. Als Abfallsagitator erschien hierorts der Herr Rechtsanwalt
Dr. P. aus Wolfsberg. Er lud mehrere Familien und einzelne Persönlichkeiten zum Gottes-
dienste ein.307
Ein halbes Jahr später schien der Pastor mit seiner Arbeit bereits gut etabliert zu sein.
»Der Pastor Foelsche arbeitet mit aller Gewalt unter der deutschvölkischen Tur-
nerschaft, bei der er die Dietwartstelle einnimmt. Solange ihm das Handwerk nicht
gelegt wird, werden immer wieder Abfälle zu verzeichnen sein.«308 Foelsche war als
erster Pastor der neu geschaffenen Pfarrgemeinde Wolfsberg-Völkermarkt309 nach
dem Juliputsch an der Koordination von Spendengeldern für illegale Putschisten
bzw. deren Familien beteiligt. Nach einer Hausdurchsuchung im Mai 1935 wurde
er verhaftet, nachdem einige Zeugen aber ihre Aussagen zurückgezogen hatten, wie-
der freigesetzt.310 Auch in der Folgezeit dürfte er an der Kirchenaustrittspropaganda
weiter beteiligt gewesen sein, wie ein Bericht aus der Pfarre St. Marein bei Wolfsberg
1936 zeigt, wo nach Ansicht des Pfarrers einige deshalb austraten, »weil sie neben
Pastor Fölsche [sic !] wohnen.«311
Auch in Oberkärnten standen ein Pastor und seine Familie im Zentrum der Auf-
merksamkeit :
Die protest. Pfarrhäuser in Feffernitz, Fresach u. Zlan sind Propaganda[-]Burgen. Die
durch äußeren Zwang erfolgte Tarnung der eigentlichen inneren Gesinnung ist für jeden
305 Der Ausstellungskatalog der Ausstellung zu Protestantismus und Nationalsozialismus in Kärnten im
Evangelischen Kulturzentrum Fresach 2013 datiert Foelsches Amtsantritt mit 1934, was den Datie-
rungen der hier analysierten Berichte widerspricht. Hanisch-Wolfram, A.: Glaube. Gehorsam. Ge-
wissen (2013b), 69.
306 Streiner, B.: Abfallsbewegung Dekanat Wolfsberg (31.07.1933).
307 Sulzer, S.: Abfallsbewegung Pfarre St. Leonhard (24.07.1933).
308 Streiner, B.: Abfallsbewegung Dekanat Wolfsberg (04.04.1934).
309 Hanisch-Wolfram, A.: Glaube. Gehorsam. Gewissen (2013b), 69.
310 Klösch, C.: Vasallen (2007), 161.
311 Blasi, A.: Apostasien Pfarre St. Marein (14.02.1936).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353