Page - 207 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Image of the Page - 207 -
Text of the Page - 207 -
207Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
rückgekehrten Universitätsstudenten G. M., unterstützt von Volksschullehrer M.«348
Damit hat sich auch folgende Bemerkung unmittelbar nach dem Verbot der NSDAP
in der Nachbetrachtung als grobe Fehleinschätzung erwiesen : »Die Agitation kam
vor dem staatlichen Verbote von außen und ist dermalen nicht mehr bemerkbar, zu-
dem werden und wurden die Leute auf gütlichem Wege eines Besseren belehrt.«349
Aber es war keineswegs nur der Einfluss aus dem Deutschen Reich, durch den sich
in Kärnten nationalsozialistisches Gedankengut verbreitete. Der Germanisierungs-
druck innerhalb Kärntens,350 wie er seit dem 19. Jahrhundert auf die slowenischspre-
chende Bevölkerung herrschte, hat in manchen Fällen auch zu einer regelrechten
nationalen Fanatisierung geführt, wie folgender Bericht vermuten lässt :
Laut Zuschrift der Bezirkshauptmannschaft in Völkermarkt vom 21.1.1936 […] ist F. A.
[…] aus der kath. Kirche ausgetreten. Die Frau und Kinder sind verschont geblieben. Der
Angeführte ist ein karakterloser [sic !] Mann. Bis 1934 war er ein Slovene, seit 1934 ist er
ein Vollgermane geworden. Regregat – Apostat. Im Holzhandel war er nicht besonders
›genau‹ – führte mit einem Bauer, von dem er Holz kaufte – Prozeß, den er jedoch verlor.
Deshalb – soll er gesagt haben – trete er aus der kath. Kirche [aus]351.
Ein propagandistisches Mittel der illegalen nationalsozialistischen Bewegung war die
Verteilung von Formularen, mit denen unkompliziert der Kirchenaustritt vollzogen
werden konnte. Bei Massenveranstaltungen ließen sich solche Formulare besonders
effektiv verbreiten, wie bspw. am St. Veiter Markt 1936 geschehen :
Beiliegende Übertrittserklärung [vgl. Abb. 9] wurde am gestrigen Markttag in St. Veit aus-
geteilt. Ich war leider nicht pers. dort, um den Verteiler verhaften zu lassen. Vielleicht
erachten Sie die Sache für würdig, sie dem f.b. Ordinariat anzuzeigen.352
348 Dullnig, G.: Abfallsbewegung in Oberdrauburg u. Ötting (27.06.1934).
349 Gottsgraber, T.: Abfälle vom Glauben Pfarre St. Lorenzen im Lesachtal (09.08.1933).
350 Diesem Druck dürfte sich auch jene in Wien ausgetretene Kärntnerin gebeugt haben, zu deren Apo-
stasie ein Pfarrer süffisant bemerkte : »Die alte Erfahrung : in der Heimat Verleugnung der Mutter-
sprache, in der Fremde Verleugnung des Glaubens.« Ogris, J.: Apostasiemeldung Pfarre Latschach
(03.11.1933).
351 Vintar, J.: Apostasien Pfarre St. Michael ob Bleiburg (21.02.1936). Ein ähnliches Phänomen tritt
auch im Bericht über zwei tschechischstämmige Apostaten zum Vorschein : »Es ist bezeichnend, dass
von den Heimischen bisher Niemand [sic !] sich verleiten ließ, denn die Abgefallenen rekrutieren
sich zum größten Teile aus solchen, die nach Österr. optiert haben, also Ausländer u. meist slav. Ab-
stammung sind. Das sind die größten Deutschen ! Nationale u. relig. Renegaten !« Neuwirther, F.:
Austrittsbewegung Pfarre Friesach (03.02.1934).
352 Budik, A.: Notiz zu einem Übertrittsformular Pfarre Pulst (05.03.1936).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353