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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«210
Als Grund des Abfalles ist nach eigenem Geständnis nur politische nationalsozialistische
Hetze anzusehen, die vor allem im Seebacher Männer Gesangsverein betrieben wird, des-
sen Mitglieder die Apostaten sind. Der Vorstand ging mit dem Beispiel voran. Dieser Ver-
ein gehört als getarnter nationalsozialistischer Verein unbedingt aufgelöst, da die Mitglie-
der nach eigenem Geständnis des Obmannes nicht nur zu Gesangszwecken sondern auch
zu politischen Besprechungen ihre wöchentliche ›Proben‹ halten.358
Neben den Gesangsvereinen boten auch die Turnvereine hervorragende Gelegen-
heit zum ideologischen Austausch.359 Die Idealisierung des Heimatgedankens im
traditionellen Kärntner Liedgut und der rassisch orientierte Körperkult der Nazis
ließen diese beiden Vereinstypen als geradewegs prädestiniert für die Verbreitung
einschlägigen Gedankenguts erscheinen. Folgerichtig waren die Propagandeure
bestrebt, Schlüsselstellen in solchen Vereinen zu erlangen, wie es dem schon er-
wähnten, für Unterkärnten zuständigen Pastor Wilhelm Foelsche als Dietwart des
deutschen Turnvereins gelang.360
Als hervorragender Ort der zeitgenössischen Massenkommunikation und Propa-
ganda eignete sich bekanntermaßen die Straße. Da man in der Zeit der Illegalität
nur bedingt auf dieses Kommunikationsmittel zurückgreifen konnte, wurden andere
symbolische, öffentlichkeitswirksame Aktionen gewählt, allen voran der Vandalis-
mus.
Vor etwas [sic !] 14 Tagen wurden über Nacht die meisten Häuser, Strassenpflaster und
Mauern mit Hakenkreuzabzeichen und Schmähworte[n] gegen die Regierung besudelt.
Die Kirche und der ganze Kirchplatz bleiben vollständig verschont. Sehr zu bedauern ist
aber, dass bei dieser Schmierkolonne auch der Bruder des Priesteramtskandidaten F. S.
tätig war und bereits 14 Tage Arrest hatte.361
In Lavamünd wurde im Zuge der Silvestertumulte 1933/34 (vgl. Kapitel 2.2.2), die
bezeichnenderweise von den Mitgliedern des örtlichen Gesangsvereins ausgelöst
wurden, die Hakenkreuzfahne sogar am Kirchturm gehisst.362
Auch wenn der Nationalsozialismus eine vom Männlichkeitsideal dominierte Be-
wegung gewesen sein mag, hatte er gewiss auch Faszination auf junge Frauen aus geübt.
358 Otto, E.: Apostasie-Ausweis Pfarre St. Ruprecht (02.06.1934).
359 »Es heisst, dass der protestantische Gottesdienst mehr und mehr besucht wird. […] Bürgermeister,
Gemeindebuchhalter, Obmann des wieder errichteten deutschen Turnvereines sind Protestanten.«
Geramb, E.: Apostasien Pfarre Ferlach (29.02.1936).
360 Streiner, B.: Abfallsbewegung Dekanat Wolfsberg (04.04.1934).
361 Bayer, J.: Apostasiebewegung Pfarre Arnoldstein (25.07.1933).
362 Oberguggenberger, L.: Abfallsbewegung Pfarre Lavamünd (10.01.1934).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353