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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis238
tion, in der man sich befinde, wesentlichen Einfluss nehmen. Bundespräsident Mi-
klas wurde vonseiten des Ordinariats erneut bemüht, ein offizielles Schreiben an den
Papst zu richten, in dem er betonen solle, von welch »großer Bedeutung [die Heilig-
sprechung] für Österreich sei, das nach den Worten des verewigten Bundeskanz-
lers seinen Stolz darein [sic !] setzt, den Staat nach den Grundsätzen der päpstlichen
Rundschreiben aufzubauen.«66 Nach anfänglichem Widerstreben konnten nicht nur
Miklas, sondern auch die Bundesregierung für eine erneute Intervention gewonnen
werden. Man beauftragte den Kärntner Dichter Guido Zernatto, der Staatssekre-
tär im Bundeskanzleramt war, mit der erneuten Überbringung des Anliegens nach
Rom.67
Dort hat man allerdings darauf verwiesen, dass die historische Quellenlage für
die Heiligsprechung dürftig sei und auch eine dazu notwendige Seligsprechung nur
volkstümlich, nie aber kirchlich offiziell erfolgt sei. Die Gegnerschaft in Rom war
von der starken Skepsis vor allem Kardinalstaatssekretär Pacellis getragen, der die
tatsächliche Katholizität Österreichs angesichts des starken Aufschwungs der Nazi-
Bewegung bezweifelte. Es war jedoch, wie schon angedeutet, Bischof Hudal, der in
einer Eingabe an Papst Pius XI. genau diese politische »Gefährdung« argumenta-
tiv gewinnbringend einsetzen konnte. In der Argumentation Hudals wurde Hemma
nun – entgegen Hefters Bemühungen – eine »deutsche Heilige« und mit ihrer An-
erkennung würde der Papst dem »deutschen Volk« (Deutschlands und Österreichs)
sein besonderes Wohlwollen signalisieren.68
Die entscheidende Sitzung der Ritenkongregation schließlich wurde auf den
4. Jänner 1938 vorgezogen und vonseiten des Papstes die positive Entscheidung ge-
fällt. Die schriftliche Kultbestätigung aus Rom ließ allerdings noch auf sich warten.
Schuschniggs Kapitulation in Berchtesgaden am 12. Februar und die Anschlussbe-
geisterung in Österreich im März ließen Papst Pius XI. noch vor der Unterzeich-
nung des entsprechenden Dekrets zurückschrecken. Die schon vorbereiteten Fest-
feierlichkeiten in Kärnten mussten daraufhin auf einen bescheidenen Akt reduziert
werden. »Es war ein Segen für die katholische Kirche Kärntens, daß der Vatikan u. a.
durch die Verweigerung des Dekrets den Enthusiasmus der Hemma-Feier in Gren-
zen hielt.«69 Erst im Herbst 1940 übersandte Papst Pius XII. das unterzeichnete
Dekret nach Klagenfurt und erst ein Jahr später stimmte man vonseiten Roms auch
der Aufnahme des Hemma-Tages (27. Juni) in den kirchlichen Festkalender zu.70
66 Generalvikar Schmutzer an Miklas, zit. ebd., 209.
67 Ebd.
68 Ebd., 210–212.
69 Ebd., 212–216, hier 216.
70 Ebd., 216.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353