Page - 304 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Image of the Page - 304 -
Text of the Page - 304 -
Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis304
Teil des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft verstanden werden. Gemäß der
Fragestellung beschränkt sich dieses Interesse hier vorrangig auf die Wahrnehmung
von Kirche und Klerus im Kontext dieser Ereignisse. Nun liegt die »Mythenkompe-
tenz« in einer Gesellschaft weniger bei Historikern und Historikerinnen, insofern
diese dem Ideal weitestgehend objektiver Faktengeschichte verpflichtet sind, son-
dern bei den Dichtern und Dichterinnen, Künstlern und Künstlerinnen. Für die Zeit
des Abwehrkampfes und der Volksabstimmung ist hier der aus Ferlach stammende
Dichter, Schriftsteller und Politiker Josef Friedrich Perkonig maßgeblich.
Überhaupt spielt das Thema der Kärntner Heimat bei Perkonig eine herausra-
gende, wesentliche Rolle. »Sein Werk ist ein allumfassender und vollendeter Spiegel
des Kärntnertums, und er selbst wußte sich eins mit den natürlichen und geistigen
Grundlagen des Raumes, in dessen Boden er wurzelte«329, urteilt sein Biograph Erich
Nussbaumer über die Beziehung des Dichters zum Kärntner »Mutterboden«. Perko-
nig war als Sohn eines slowenischsprachigen Büchsenmachers aus Ferlach und einer
deutschsprachigen Großbauerntochter aus Glanegg in beiden Sprach- und Kulturkrei-
sen verwurzelt, sein gesamtes literarisches Werk wie auch sein politisches Auftreten
sind durchzogen von dieser Thematik. In der Person Perkonigs würden sich, so wieder
Nussbaumer, »keltische Beweglichkeit, germanisches Grübeln und slawischer Traum«
vereinen. Er sei »der Dichter der Grenze und der deutsch-slowenischen Zweiheit an
ihr, und aus diesem Erleben heraus ein Rufer nach Toleranz und Humanität. Er ist der
Dichter Kärntens geworden und war zugleich ein Dichter der Welt«330.
Die Betonung von Perkonigs weltoffenem und humanistisch gesinntem Ethos
durch seinen überaus wohlwollenden Biographen verdeckt freilich ein wenig die
Rolle, die Perkonig als »Volkspolitischer Referent« in der Zeit des »Christlichen
Ständestaates« und in den Tagen des »Anschlusses« spielte. Lange nach dem Zwei-
ten Weltkrieg waren Glorifizierung, Verschleierung und gegebenenfalls Verharm-
losung leitende Motive in der Beschäftigung mit dem Kärntner Heimatdichter. Erst
der Literaturwissenschaftler Klaus Amann – ein gebürtiger Vorarlberger – »hob die
Kärntner Ikone Josef Friedrich Perkonig vom Sockel«331, als er dessen durchaus wi-
dersprüchliche Aktivitäten und Selbstzeugnisse in den Jahren 1934 bis 1938 sowie
darüber hinaus kritisch unter die Lupe nahm.332 Perkonig erscheint in Amanns vor-
gestelltem Quellenmaterial als Wendehals, der zwar in der Zeit des Ständestaates
diverse politische Ämter innehatte, aber kaum Berührungspunkte zum Politischen
329 Nussbaumer, E.: Josef Friedrich Perkonig (1965), 15.
330 Ebd., 19 f.
331 Loigge, U.: Der Germanist (2014).
332 Amann, K.: Der Wort-Führer Kärntens (1989). Es überrascht angesichts der bisherigen Ausführun-
gen kaum, dass Amann eine dementsprechende »mediale Gegenkampagne« über sich ergehen lassen
musste und von den Kärntner Nachrichten, der Zeitung der Freiheitlichen Partei, als »dahergelaufener
Leichenfledderer« verunglimpft wurde. Loigge, U.: Der Germanist (2014).
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353