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15Von
(Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern
von Gütern übergingen, die der Bewirtschaftung nicht oder in geringerem Maß un-
terworfen waren, oder – während des Krieges – indem sie unter dem Vorwand, keine
Arbeitskräfte zu besitzen, ihre Felder brach liegen ließen und bloß als Weide nutzten.
So wurde die Agrarwirtschaft immer extensiver anstatt intensiver betrieben und da-
durch ertragloser.“46
Diese Sicht, die dem vorherrschenden Geschichtsbild vom erfolgreichen wirt-
schaftlichen und politischen „Wiederaufbau“ Österreichs als vormals „erstem Op-
fer“ Hitlers folgte,47 prägte hierzulande bis in die 1980er Jahre die Geschichts-
schreibung. Einen fundierten Überblick, der dem Nazifizierungs-Ansatz nahestand,
boten erstmals Michael Mooslechner und Robert Stadler im wegweisenden Hand-
buch NS-Herrschaft in Österreich von 1988.48 Eine kurz danach erschienene Dis-
sertation zum Reichsnährstand in Österreich vermochte wegen ihrer apologetischen
Tendenz
– der Verfasser war leitender Mitarbeiter der Landesbauernschaft Donau-
land – nicht den Rang eines Standardwerks zu erlangen.49 Eine quellengesättigte
Darstellung erfuhr allein die Forstwirtschaft im Nationalsozialismus.50
Vom Resistenz-Ansatz explizit oder implizit angeleitete Regional- und Spe-
zialstudien setzten sich eingehender mit der österreichischen Agrargesellschaft
im Nationalsozialismus auseinander. Erhebliche Strahlkraft entfalteten seit den
1980er Jahren die Arbeiten Ernst Hanischs, die das Milieu-Konzept des „Bayern-
Projekts“ in die österreichische Theoriediskussion einbrachten und am Reichsgau
Salzburg empirisch umsetzten.51 Lokal- und Regionalstudien nahmen diese Im-
pulse in kreativer Weise auf52 und Bundesländergeschichten der NS-Zeit brach-
ten mehr oder weniger ausführliche Abschnitte zur Agrargesellschaft.53 Evan Burr
Bukeys Studie zur Volksmeinung strich die anfängliche Koexistenz- und spätere
Resistenzhaltung der katholischen Bauernschaft heraus.54 Die durch Historiker-
kommissionen belebte Zwangsarbeitsforschung betonte die Resistenz bäuerlicher
Milieus gegenüber dem „verbotenen Umgang“ mit ausländischen Arbeitskräften.55
Ein Handbuch zur österreichischen Agrargeschichte im 20. Jahrhundert thema-
tisierte an zahlreichen Stellen die NS-Ära.56 Auch Gerhard Siegls Pionierstudie
zum österreichischen Bergbauerngebiet folgte dem Schwenk von den Aktionen
des NS-Regimes zu den Reaktionen der ländlichen Akteure, indem sie die Auswir-
kungen der Machtergreifung der Nationalsozialisten auf die „wirtschaftliche und
soziale Lage der Landbevölkerung“ zur Leitfrage erhob.57
Der alltagshistorische Ansatz des Kräftefeldes bestimmte neben anderen Ar-
beiten, etwa zum Alltag der „Landfrauen“,58 meine eigenen Forschungen, begin-
nend mit einem nach Interaktionsfeldern gegliederten Handbuchartikel in der
2000 erschienenen Neuauflage von NS-Herrschaft in Österreich.59 Dabei war ein
zweifaches Forschungsdefizit zunächst nur zu benennen, aber nicht zu beheben :
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937