Seite - 74 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 74 -
Text der Seite - 74 -
74 Anatomie eines „lebenden Organismus“
derkulturen geeignet. Im bodenmäßig und klimatisch ähnlich gestalteten, jedoch
durch verstärkte Taubildung gekennzeichneten Pannonischen Hügelland (B), ein-
schließlich der Weinbaugebiete (C), herrschte ebenfalls die pannonische Vegetati-
onsstufe vor ; an den Berglehnen sowie nach feuchteren und kühleren Jahren traten
bereits Pflanzen der baltischen Vegetationsstufe auf, was eine pannonisch-baltische
„Kampfzone“ entstehen ließ. Neben dem noch möglichen Getreide-, Wein- und
Gemüsebau sowie der Pflege von Sonderkulturen war bereits das Dauergrünland
„im Vorschreiten begriffen“.106
Beim Übergang zu den übrigen Produktionsgebieten stieß der Bearbeiter auf
vermehrte, durch Relief, Boden und Klima bedingte Abgrenzungsprobleme :
„Meereshöhen, Bodengestaltung und Neigungsverhältnisse, Sonn- oder Schatten-
seite, Ost-oder Westlage am Berg gewinnen für den landwirtschaftlichen Betrieb
an Bedeutung. Die oft mehrere 100 m tief eingekerbten Flussläufe haben eine fast
fjordartige Zersägung der Ränder des Berglandes nach sich gezogen und in diese
Täler greift die jeweils untere Klima- und Vegetationsstufe tief in das geschlossene
Bergland ein.“ Folglich war vermehrt von „Übergänge[n] von einem Gebiet zum
anderen“ und „Inseln“ die Rede.107 Das Flach- und Hügelland südlich der Donau (D)
mit ergiebigen Böden und einem günstigen Ausgleich von Wärme und Feuchtig-
keit wurde zur unteren (St. Pöltner Becken, D1) oder oberen baltischen Vegetati-
onsstufe (Gebiet von Melk-Amstetten, D4), durchsetzt von pannonischen Inseln,
wie etwa der „Ybbser Scheibe“, gerechnet. Die Wildpflanzen (Fichte, Rotbuche,
Heidekraut usw.) waren durch eine weniger verdickte Oberhaut und flachgrün-
digere Wurzeln gekennzeichnet. Folglich schien die untere baltische Vegetations-
stufe eher für Getreide-, Zuckerrüben-, Gemüse- und Obstbau, die obere baltische
Vegetationsstufe eher für Feldfutter- und Obstbau sowie Dauergrünland geeignet.
Der klimatisch kühlere und feuchtere Wienerwald (E) wurde bereits im Über-
gangsgebiet zwischen oberer baltischer und subalpiner Vegetationsstufe verortet.
In diesem durch Wald und Dauergrünland geprägten Gebiet, so der Bearbeiter,
würden Boden und Klima einen
– jedoch für das Wiener Kleinklima nachteiligen
–
„erweiterten Getreidebau“ zulassen. Das feucht-kühle Alpengebiet (F) Niederdo-
naus zerfiel in das Uralpengebiet der Buckligen Welt (F1), wo die Landwirtschaft
bis in höchste Lagen vordrang, und das Kalkalpengebiet (F2), wo die schrofferen,
steileren Abhänge die landwirtschaftliche Nutzung auf tiefere Lagen beschränk-
ten. Während die Tallagen noch zur oberen baltischen Vegetationsstufe gerechnet
wurden, zählten die Hänge und höheren Lagen bereits zur subalpinen Zone. Die
Eigenschaften der subalpinen Wildpflanzen (Lärche, Elfengras, Borstengras usw.)
ähnelten jenen der pannonischen Vegetationsstufe
– freilich aus anderen Ursachen :
Die Verdickung der Oberhaut schützte vor Wärmeverlust ; kräftige und verzweigte
Wurzeln dienten zur Speicherung von Nährstoffen ; ein rasches Wachstum war an
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937