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108 Anatomie eines „lebenden Organismus“
Schrotmühle für die Futterbereitung vorhanden. Der hohe Technisierungsgrad des
Hofes wird durch den Gärfuttersilo, die Düngerstätte und die Jauchegrube be-
kräftigt. Bezieht man den Arbeits-, Vieh- und Maschineneinsatz auf die Nutzflä-
che, dann lagen die Arbeits- und Viehintensität mit 0,2 AKE und 0,6 GVE pro
Hektar unter dem Durchschnitt, die Maschinenintensität mit 471 Reichsmark pro
Hektar deutlich darüber. Von dem Einkommen, das der Betrieb abwarf, mussten
außer dem Bauernpaar fünf weitere Familienangehörige – drei Kinder unter 14
Jahren und zwei Erwachsene, vermutlich die im Ausgedinge lebenden Vorbesit-
zer – verköstigt werden ; daher betrug der V/A-Quotient überdurchschnittliche
3,05 Personen. Dennoch war außerlandwirtschaftliches Einkommen zur Versor-
gung der Besitzerfamilie auf einem Hof dieser Größe nicht notwendig ; die Lie-
ferung von 62 Doppelzentnern Weizen, 43 Doppelzentnern Roggen, sechs Dop-
pelzentnern Brau- und Industriegerste sowie zwei Doppelzentnern Hafer – über
Milch-, Fleisch- und Weinverkauf liegen keine Aufzeichnungen vor – brachten
genügend Geld ins Haus. Der Akzent auf Getreide-, Zuckerrüben-, Handelsge-
wächs- und Weinproduktion auf hohem technischem Standard verweist darauf,
dass sich Zuckerrübenbauern in hohem Maß über vor- und nachgelagerte Märkte
reproduzierten.152
Diese Gruppe hatte mit den Maschinenmännern einiges gemein : der akzentu-
ierte Getreide-, Zuckerrüben- und Handelsgewächsbau, der mittel- und großbe-
triebliche Zuschnitt, die hohen Anteile an Fremdarbeitskräften, die geringe Ar-
beits- und hohe Maschinenintensität, das Vorherrschen des landwirtschaftlichen
Haupterwerbs, die enge Marktverflechtung. Doch sollten wir dabei die Unter-
schiede nicht übersehen : die regionale Konzentration im Alpenvorland, der feh-
lende Weinbau, die höhere Viehintensität, die weitaus seltenere Betriebsleitung
durch Frauen, der geringere Anteil an Pachtland, die stärkere Rinderhaltung. Die
Getreidewirtschaft von Anton Herzog in Bischofstetten liefert ein genaueres
Bild von den Maschinenmännern. Zum Hof gehörten 34,2 Hektar Kulturfläche ;
davon waren 20,3 Hektar Ackerland, 0,9 Hektar Obstgarten, 6,7 Hektar Wiesen
und 6,2 Hektar Wald. Die Äcker trugen zu fast zwei Dritteln Getreide, vor-
wiegend Weizen, aber auch Hafer, Gerste und Roggen ; auf dem Rest überwog
der Futterbau, vor allem Klee und Luzerne, gegenüber den Hackfrüchten Kar-
toffeln und Futterrüben. Weder Zuckerrüben noch Handelsgewächse reiften auf
den Äckern ; diesbezüglich bildete der Betrieb eine Ausnahme von der Regel.
Neben dem Bauern waren auf dem Hof vier zur Familie zählende erwachsene
Frauen tätig ; ob eine davon die Ehefrau war, geht aus der Hofkarte nicht her-
vor. Weiters beschäftigte der Bauer zwei Knechte und acht Taglöhnerinnen, die
im Jahr zusammen 150 Arbeitstage leisteten. Das entsprach einem unterdurch-
schnittlichen Familien-, einem überdurchschnittlichen Gesinde- und einem
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937