Seite - 110 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 110 -
Text der Seite - 110 -
110 Anatomie eines „lebenden Organismus“
Die Ackerfläche war zur Hälfte dem Getreide – Roggen und Hafer –, zu einem
Viertel den Hackfrüchten – Kartoffeln und Futterrüben – und zu einem Viertel
dem Feldfutter gewidmet ; zudem wurden zwei Ar Mohn, eine für das Waldviertel
typische Sonderkultur, angebaut. Das Bauernpaar beschäftigte zwar kein Gesinde ;
fallweise kamen aber Taglöhner/-innen im jährlichen Ausmaß von 133 Tagen zum
Einsatz. Der Familienanteil lag im, der Gesindeanteil unter und der Taglöhneran-
teil über dem Durchschnitt. An Vieh wurden ein Pferd, zwölf Rinder, davon zwei
Zugochsen und sechs Milchkühe, zwei Schweine und 16 Hühner gehalten ; auch
die Imkerei wurde auf dem Hof betrieben. Der betriebseigene Maschinenpark um-
fasste neben einem Elektromotor als Kraftmaschine eine Reihe von Arbeitsma-
schinen : eine Dreschmaschine, eine Drillmaschine, einen Kartoffelroder und eine
Schrotmühle. Weiters standen dem Betrieb ein Düngerstreuer, ein Saatgutbereiter
und ein Saatgutbeizer im Gemeinschaftsbesitz zur Verfügung. Ein Gärfutterbe-
hälter, eine Düngerstätte und eine Jauchegrube vervollständigten die technische
Ausstattung. Das betriebliche Intensitätsprofil verband einen extensiven Einsatz
der insgesamt 2,4 AKE oder 0,2 AKE pro Hektar mit einem durchschnittlichen
Einsatz der 12,5 GVE oder 0,9 GVE pro Hektar und des Maschinenneuwerts von
1.660 Reichsmark oder 119 Reichsmark pro Hektar. Das Bauernpaar hatte zwei
unter 14-jährige Kinder sowie eine erwachsene Person zu versorgen ; der V/A-
Quotient lag somit bei 2,2 Personen. Dennoch fand der Familienhaushalt mit dem
Landwirtschaftsbetrieb das Auslangen ; mehr noch, er vermarktete beträchtliche
Überschüsse an pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen : 30 Doppelzentner Ge-
treide, 170 Doppelzentner Kartoffeln, fünf Doppelzentner Heu, 4.500 Kilogramm
Milch. Doch die Marktbeziehungen erscheinen weniger als Selbstzweck der Be-
triebsführung, sondern eher als Mittel zum eigentlichen Zweck, der Versorgung
der Besitzerfamilie.154
Was sich bei den Mischwirtschaftern abzeichnete, kam bei den Ochsenbauern voll
zur Geltung : der Übergang vom Pferd zum Ochsen als dem bevorzugten Zug-
tier. Häufiger als Erstere waren Letztere Futterwirtschaften, lagen im Waldviert-
ler und voralpinen Bergland, zeigten einen mittelbetrieblichen Zuschnitt, hatten
einen familienwirtschaftlichen Schwerpunkt, waren in geringem Maß mechani-
siert. Eine typische Vertreterin war die Futterwirtschaft von Leopold Hofer in
Plankenstein. Die Kulturfläche im Ausmaß von 9,1 Hektar verteilte sich auf 3,7
Hektar Acker, 2,9 Hektar Wiesen, 0,5 Hektar Weiden und 1,9 Hektar Wald.
Der Besitzer baute auf knapp zwei Dritteln seines Ackers Getreide : vorwiegend
Menggetreide, aber auch etwas Weizen und Hafer ; das restliche Drittel teilte er
auf die Hackfrüchte – Kartoffeln und Futterrüben – und das Feldfutter – großteils
Klee
– auf. Diesen Mittelbetrieb bewirtschaftete er zusammen mit zwei weiblichen
Familienangehörigen ; Gesinde- oder Taglohnarbeit wurde in der Hofkarte nicht
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937