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111Im
Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens
verzeichnet. Mit diesen drei Vollarbeitskräften waren sieben Rinder, davon zwei
Zugochsen und drei Milchkühe, drei Schweine, darunter zwei Mastscheine, und
fünf Hühner – zusammen 6,8 GVE – zu versorgen. Technische Hilfsmittel waren
auf dem Bergbauernhof rar : Außer einem Verbrennungsmotor im Neuwert von
400 Reichsmark, der zum Antrieb einfacher Arbeitsgeräte diente, wurden keinerlei
Maschinen registriert. Der überwiegende Teil der Tätigkeiten beruhte ausschließ-
lich auf menschlicher und tierischer Muskelkraft. Mit 0,4 AKE, 1,0 GVE und 56
Reichsmark Maschinenneuwert pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche lagen
die Arbeitsintensität unter dem Durchschnitt, die Vieh- und Maschinenintensität
im Durchschnitt. Da drei minderjährige Kinder auf dem Hof zu versorgen waren,
kamen auf eine Familienarbeitskraft 1,7 „beköstigte Personen“ ; damit befand sich
der V/A-Quotient im Durchschnitt. Ob die fehlenden Marktleistungen auf einem
Erhebungsfehler in der Hofkarte beruhen oder tatsächlich zutrafen, ist ungewiss.
Dennoch wird deutlich, dass die Familie von Leopold Hofer bei ihrer Produktion
und Reproduktion nur in geringem Maß von vor- oder nachgelagerten Märkten
abhing ; Eigenproduktion für den Konsum von Mensch und Vieh bildete das fami-
lienwirtschaftliche Leitmotiv.155
Mit den Gewerbebauern wechseln wir vom Zentrum in den Randbereich der
Landwirtschaft, in dem sich agrarische und außeragrarische Tätigkeiten durch-
mischten. Zuckerrübenbauern, Maschinenmänner, Mischwirtschafter und Ochsenbau-
ern führten ihre Betriebe überwiegend im Haupterwerb. Bei den Gewerbebauern
traf dies nur mehr für eine Minderheit zu ; die Mehrheit unter ihnen ging einer
selbstständigen, fallweise auch einer unselbstständigen Tätigkeit außerhalb der
Landwirtschaft nach. So finden sich hier häufiger als anderswo Gewerbetreibende
wie Bäckermeister, Fleischhauermeister, Gastwirte, Warenhändler, Kaufleute,
Müllermeister, Schlossermeister, Schmiedemeister, Schneidermeister, Schuhma-
chermeister, Zimmerermeister und Viehhändler, in geringerem Maß auch Lohn-
abhängige wie Forst-, Hilfs- und Sägearbeiter. Gewerbebauern betrieben häufig
Hackfrucht- oder Futterwirtschaften, konzentrierten sich im Alpenvorland und
Waldviertel, verfügten meist über ein bis fünf Hektar Kulturfläche, hatten ein aus-
geglichenes Verhältnis von Familien-, Gesinde- und Taglohnarbeitskräften, hoben
sich durch hohe Vieh- und geringe Maschinenintensitäten hervor, forcierten den
Anbau von Getreide. Was sie mit den Mischwirtschaftern verband, waren durchwegs
hohe V/A-Quotienten – ein Indiz dafür, dass überwiegend im Gewerbebetrieb
tätige Familienangehörige häufig als „beköstigte Personen“ im Landwirtschaftsbe-
trieb registriert wurden. Sehen wir genauer hin, etwa auf die Hackfruchtwirtschaft
des Schmiedes Leopold Dutter in Texing. Die 2,6 Hektar Kulturfläche waren je
zur Hälfte auf Äcker und Grünland aufgeteilt. Das Ackerland war nur zu je ei-
nem Viertel dem Getreide- und Hackfruchtbau gewidmet ; die übrige Hälfte nahm
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937