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121Im
Raum der Gutswirtschaft
derselben Gemeinde, in der Regel jedoch in unterschiedlichen Gemeinden ; daher
wäre der Beitrag der Gemeindezugehörigkeit zur Merkmalsstreuung zu gering.
Zweitens war die Trennung zwischen Betrieb und Haushalt der Besitzer/-innen –
in vielen Fällen nicht physische, sondern juristische Personen – durchwegs so weit
vollzogen, dass die Gutshöfe in der Regel von Verwaltungspersonal geleitet wur-
den ; nur ausnahmsweise leiteten der Besitzer oder – wie Johanna Koller auf dem
Gut Nexing in Obersulz, die einzige Frau im Sample178
– die Besitzerin selbst den
Betrieb. Daher würde es wenig Sinn machen, die Familienanteile am Arbeitskräf-
tepotenzial oder die V/A-Quotienten in die Rechnung einzubeziehen. Drittens
bleiben die Hauptberufe der physischen Besitzer/-innen, die in den Hofkarten
nicht angegeben sind, unberücksichtigt. Vielfach besaßen Großgrundbesitzer/-
innen neben dem Land- oder Forstgut teils damit verbundene, teils davon unab-
hängige Firmen ; nur selten lebten sie als Privatiers allein von der erwirtschafteten
Rente.179 Neben diesen Merkmalen bleibt auch ein ‚statistischer Ausreißer‘, das
Traunsche Forstgut in Großschweinbarth, aus der Rechnung ausgeschlossen ; da-
durch reduziert sich die Zahl der Beobachtungsfälle auf 36. Der Raum des gutsbe-
trieblichen Wirtschaftens, dem sieben Merkmale
– Betriebsgröße und -typ, Arbeits-,
Vieh- und Maschinenintensität sowie Gesinde- und Taglöhneranteil – zugrunde
liegen, deckt 47 Prozent der Gesamtstreuung der 36 Fälle ab. Am meisten tragen
Taglöhner- und Gesindeanteil vor Größenklasse, Arbeitsintensität, Betriebstyp,
Vieh- und Maschinenintensität zur Konstruktion der ersten beiden Raumdimen-
sionen bei. Wie die Höfe unter 100 Hektar Kulturfläche erweisen sich auch die
Gutsbetriebe als nicht ausschließlich strukturell bedingt ; die Stile der Betriebs-
führungspraxis, die in der Zusammensetzung der Arbeitskräfte sowie der Arbeits-,
Vieh- und Maschinenintensität zum Ausdruck kommen, hatten erheblichen Ein-
fluss auf die Ausprägung der Agrarsysteme.
Nehmen wir den Raum des gutsbetrieblichen Wirtschaftens genauer unter
die Lupe. Die erste, waagrechte Dimension wird durch die Spannungsmomente
arbeits- und viehextensiv gegenüber arbeits- und viehintensiv, Wald- gegenüber
Getreidewirtschaft sowie Güter über 500 Hektar gegenüber flächenkleineren Be-
trieben bestimmt. Wie im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens handelt
es sich um ein Intensitäts- und Größenprofil. Die zweite, senkrechte Dimension, die
vom Unterschied zwischen zeitweilig und ständig Beschäftigten bestimmt ist, ent-
puppt sich als Arbeitskräftearrangement. Darin kommt das Ökotypen-Modell mit
der Unterscheidung von „Taglöhner-“ und „Gesindegesellschaften“180 zur Geltung.
Die keilförmige, von rechts nach links auseinanderstrebende Anordnung der Guts-
betriebe zeigt : Ob vorwiegend ständiges Personal und Gesinde oder nichtständige
Taglohn- und Saisonarbeitskräfte zum Einsatz kamen, wurde mit abnehmender
Betriebsintensität und zunehmendem Landbesitz zu einem Unterscheidungsmerk-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937