Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Seite - 140 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 140 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Bild der Seite - 140 -

Bild der Seite - 140 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Text der Seite - 140 -

140 Anatomie eines „lebenden Organismus“ Nicht nur außergewöhnliche Unglücksfälle, sondern auch alltägliche Kleinkriege zwischen Familienangehörigen lähmten die Wirtschaftsführung. Sie konnten sich in der halböffentlichen Sphäre eines Gerichtsverfahrens über Jahre hinzie- hen : „Besitzer ist wenig energisch, ist kriegsbeschädigt und Witwer, Frau vor drei Jahren gestorben. Seither gerichtliche Auseinandersetzungen mit den zwei älteren Söhnen.“240 In der familiären Privatsphäre schwelten solche Konflikte, die häufig zwischen den Ehegatten oder Schwiegereltern und Schwiegerkindern aufbrachen, mitunter Jahrzehnte lang. Im folgenden Fall wurde die bäuerliche Betriebsführung dadurch dermaßen beeinträchtigt, dass der Sachbearbeiter auf Abweisung des An- trags plädierte : „Der Besitzer der in die gänzlich vernachlässigte, unsaubere Wirtschaft eingeheiratet hat, ist zwar fleißig und sparsam, doch kein energischer und tüchtiger Wirtschafter. Die Frau hält zu ihren Eltern, Ausgedinger, die stets kränklich sind und die Wirt- schaft ganz heruntergebracht haben ; sie hindern den Besitzer an jedweder Verbes- serung der Wirtschaft. Die Wirtschaftsgebäude sind gänzlich verfallen und müssten neu erbaut werden. Die Felder wurden schlecht gepflegt, der Ertrag ist gering. Bei der Energielosigkeit des Bauern besteht keinesfalls die Gewähr, dass sich diese Zustände in absehbarer Zeit wesentlich ändern. Unter diesen Umständen wird der Antrag auf Entschuldung und Aufbau abgelehnt.“241 Manchmal sahen die Sachbearbeiter den Grund für Fehlverhalten schlichtweg in der Wirtschaftsauffassung der Inhaber/-innen : „Die Wirtschaftsführung ist schlampig, der Viehstand zu klein, und hat den Anschein, dass nur deshalb kein hö- herer Stand vorhanden ist, um weniger Arbeit zu haben. Die Wirtschaft ist in guter Lage und kann bei entsprechender Nachhilfe durch Betreuung eine gute und si- chere Leistung erbracht werden.“242 Was aus amtlicher Sicht vor allem als Sabotage an der „Erzeugungsschlacht“ erscheinen mochte  – ein zu kleiner Viehstand, eine zu geringe Ackerfläche, ein zu spärlicher Einsatz von Handelsdünger  –, bedeutete für die beurteilten Betriebsinhaber/-innen wohl eher einen erfahrungsgesättigten Umgang mit knappen Ressourcen. Weniger Profitmaximierung, als vielmehr Risi- kominimierung und Mußepräferenz bestimmten die bäuerlichen Wirtschaftsstile im Rahmen der auf Selbstversorgung ausgerichteten Familienbetriebe243  – eine Logik, die von Amts wegen als Fehlverhalten erschien, im bäuerlichen Alltag je- doch als bewährtes Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster Sinn stiftete. Trotz der bisweilen harschen Kritik argumentierten die Sachbearbeiter in der überwiegenden Zahl der Fälle bäuerlichen Fehlverhaltens für die Durchführung des beantragten Entschuldungsverfahrens. Im Sinn des angekündigten „Wieder- aufbaus der Ostmark“ auf landwirtschaftlichem Gebiet erschien es zielführender,
zurück zum  Buch Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Schlachtfelder