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141Durchleuchtete
Höfe
die vom Ausschluss Bedrohten in die Entschuldung als „einmalige Notmaßnahme“
einzuschließen.244 Die Feststellung der „Entschuldungswürdigkeit“ erforderte
jedoch bei bäuerlichem Fehlverhalten eine auf den jeweiligen Fall abgestimmte
Rechtfertigung. Daher erteilten die Sachbearbeiter vielfach Auflagen, vor allem
hinsichtlich der Wirtschaftsberatung : „Fachmännische Beratung ! Der Besitzer
Spekulant !“245 Die auferlegte Wirtschaftsberatung sollte den Mangel an Vermö-
gen und Willen der Betriebsinhaber/-innen aufwiegen und die „ordnungsmäßige
Wirtschaftsführung“ sicherstellen : „Die Besitzerin ist nicht fähig, die Wirtschaft
ordnungsgemäß zu führen, Betreuung daher notwendig.“246 Dass die Betreuung
nicht nur Förderungen, sondern auch Forderungen einschloss, kam manchmal un-
missverständlich zum Ausdruck : „Die Wirtschaft könnte besser in Ordnung ge-
halten werden, auch fehlt es dem Besitzer an der nötigen Übersicht. Eine strenge
Überwachung und Beratung ist daher unbedingt notwendig.“247 Die Wirtschafts-
beratung bezog fallweise auch die vorgesehenen Hoferben mit ein : „Es scheint,
dass der Bauer wenig landwirtschaftliche Betriebskenntnisse besitzt. Schulung
eines Sohnes notwendig.“248 Auflagen waren eine Möglichkeit, Defizite der Wirt-
schaftsführung auszugleichen ; eine weitere Ausgleichmöglichkeit eröffnete zahl-
reicher, „erbgesunder“ Nachwuchs. Die Sachbearbeiter betrachteten die Kinder-
schar gewissermaßen als gemeinwirtschaftliche Leistung der Bauernfamilien : „Der
entlegene Hof ist stark vernachlässigt, da der Mann nicht viel Verständnis für die
Landwirtschaft hat. Die Schulden stammen von der Übernahme her. Würdigkeit
ist ansonsten gegeben. Der gesunden Kinder wegen werden Aufbaumaßnahmen
und Unterstützung befürwortet. Beratung anempfohlen !“249 In diesen Fällen ver-
banden die Sachbearbeiter betriebswirtschaftliche und bevölkerungspolitische,
„rationelle“ und „rassische“ Argumentationsstränge gemäß der vorherrschenden
Diskursfigur
– des janusköpfigen Bauern als „Ernährer und Blutsquell des Volkes“.
Dem Stil des bäuerlichen Fehlverhaltens entsprachen mehrere Agrarsystem-
Merkmale. Die Betriebe der fehlgeleiteten Bauern häuften sich in der Flach- und
Hügellandregion Mank und lagen in der Voralpenregion Kirchberg an der Pielach
im Durchschnitt. Was dieses zusammenhängende Gebiet von den AGB Matzen
und Litschau augenscheinlich unterschied, war die Anlage der bäuerlichen Gehöfte.
Während in letzteren Regionen geschlossene Dörfer das Siedlungsbild bestimmten,
waren erstere gekennzeichnet durch Einzelhöfe und Weiler250
– eine Siedlungsweise,
die äußere Kontrolle über das Innenleben des Hofes, einschließlich der Abweichung
von der offiziellen Norm, zweifellos erschwerte. Während die Betriebstypen keine
auffälligen Häufungen zeigten, traten die Kulturflächen zwischen zehn und 20 Hek-
tar deutlich hervor. Es waren vor allem die kleineren Mittelbetriebe in Einzelhof-
und Weilersiedlungen, deren Anlage offiziell als Fehlverhalten gewertete Landwirt-
schaftsstile bis zu einem gewissen Grad abschirmte. Diese Abschirmung überwanden
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937