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145Durchleuchtete
Höfe
Alltagspraxis : die enge Verflechtung von bäuerlichem Haushalt und Betrieb.269
Gesamt gesehen, hing bäuerliche Mustergültigkeit in den Augen der Sachbear-
beiter nicht allein von betriebswirtschaftlichen Maßstäben ab ; zudem wurden die
Hofbesitzer/-innen an der amtlichen Norm gemessen. Mithin erscheinen die re-
gelmäßigen Genehmigungen und ausnahmsweisen Ablehnungen der bäuerlichen
Entschuldungsanträge, die über den Einsatz öffentlicher Mittel entschieden, als
eine Art ‚angewandter Moralökonomie‘ im staatlichen Auftrag.
Der Stil des vorbildlichen Bauern zeichnete sich durch mehrere Systemmerkmale
aus. Die entsprechenden Betriebe häuften sich in den Regionen Litschau und Mat-
zen ; das hing offenbar mit regional konzentrierten Betriebstypen
– Hackfruchtwirt-
schaften einerseits, Getreide- und Hackfrucht-Weinbauwirtschaften andererseits –
zusammen. Weiters deutet der Akzent auf Betriebsgrößen zwischen zehn und 50
Hektar auf ein mittel- bis großbäuerliches Gepräge hin. Damit sind zwei Merkmale,
die den Vorbildcharakter der Betriebsinhaber/-innen vermutlich begünstigten, be-
nannt : große und intensiv genutzte Flächen. Entsprechend der offiziellen Definition
von „Intensität“ lagen, verglichen mit anderen Betrieben, die Arbeitsintensitäten
niedrig und die Maschinenintensitäten hoch. Was jedoch der offiziellen Intensi-
tätsnorm widersprach, war das Vorherrschen unterdurchschnittlicher Viehintensi-
täten. Die GVE pro Hektar müssen jedoch in Relation zur überdurchschnittlich
großen Nutzfläche gesetzt werden ; absolut betrachtet, lagen die Viehstände der
vorbildlichen Bauern deutlich über dem Durchschnitt aller Entschuldungsbetriebe.
Entsprechend der arbeitsaufwendigen Boden- und Viehnutzung zeichnete sich das
Arbeitszeitprofil durch hohe Anteile familienfremder Arbeitskräfte, sowohl Ge-
sinde als auch Taglöhner/-innen, aus. Außerlandwirtschaftliches Einkommen hatte
in den überwiegend im Vollerwerb geführten Betrieben wenig Gewicht. Hinsicht-
lich des Geschlechts des vorbildlichen Bauern fällt auf, dass Frauen extrem selten als
alleinige Betriebsleiterinnen aufschienen ; der vorbildliche Bauer trug – nicht nur im
Expertendiskurs, sondern auch in der Alltagspraxis – männliche Züge.
Zu diesen Mustertrieben zählte die Getreide-Weinbauwirtschaft von Anton
und Maria Sutter in Dörfles, AGB Matzen. Einschließlich 4,6 Hektar Zupacht be-
wirtschaftete das Ehepaar 30,7 Hektar Kulturfläche, die sich in 29,5 Hektar Acker,
0,6 Hektar Weingarten, 0,6 Hektar Wiese und Hutweide und 0,1 Hektar Garten
verteilten. Fast zwei Drittel der Ackerfläche nahm das Getreide – hauptsächlich
Roggen, dann Gerste und Hafer, schließlich etwas Weizen und Körnermais – ein ;
knapp ein Viertel war den Hackfrüchten, großteils Zuckerrüben, gewidmet ; der
Rest entfiel auf Feldfutter und etwas Ölfrüchte. Neben dem Besitzerpaar arbei-
teten zwei Gesindekräfte auf dem Hof ; dazu kamen tage- und saisonweise Be-
schäftigte im jährlichen Ausmaß von 700 Arbeitstagen. Das Arbeitszeitprofil
zeigte einen unterdurchschnittlichen Familienanteil sowie überdurchschnittliche
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937