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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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146 Anatomie eines „lebenden Organismus“ Gesinde- und Taglöhneranteile. Die insgesamt 6,8 AKE entsprachen einer un- terdurchschnittlichen Arbeitsintensität von 0,2 AKE pro Hektar. Der beachtliche Viehstand, zusammen 18,0 GVE, umfasste zwei Pferde, 16 Rinder, davon zehn Kühe, 13 Schweine, darunter eine Zuchtsau und fünf Mastschweine, und 50 Hüh- ner. Aufgrund der großen Nutzfläche erreichte die Viehintensität mit 0,6 GVE pro Hektar nur unterdurchschnittliches Niveau. Auch der Maschinenpark konnte sich sehen lassen : je ein Elektro- und Verbrennungsmotor, eine Drillmaschine, je eine Stiften- und Breitdreschmaschine und eine Häckselmaschine, was einem Neuwert von 2.335 Reichsmark und einer durchschnittlichen Maschinenintensität von 76 Reichsmark pro Hektar entsprach. Da die Eltern der Bäuerin im Ausgedinge leb- ten und ein Neugeborenes zu versorgen war, stieg der V/A-Quotient auf das durch- schnittliche Niveau von 1,76 Personen. Die Betriebseinnahmen setzten sich vor allem aus dem Verkauf von Zuckerrüben, Getreide und Milch, weiters von Wein, Rindern, Schweinen, Pferden und Geflügel zusammen. Abzüglich der Betriebs- ausgaben und der Haushaltskosten verblieben dem und der Betriebsinhaber/-in 1.650 Reichsmark zur weiteren Verwendung. Der Sachbearbeiter ließ seiner Wert- schätzung des Paares, vor allem des Mannes, freien Lauf : „ein junger, intelligenter, fortschrittlicher Bauer, tüchtiger Wirtschafter, gesunde Bauernfamilie, Eindruck sehr gut, […] ein intensiv geführter, sauberer landwirtschaftlicher Betrieb“. Ergän- zend wies er darauf hin, dass der Jungbauer eingeheiratet und die Schulden über- nommen habe ; seither bemühe er sich, „die Wirtschaft ertragreicher zu gestalten“. Das Attribut „gesunde Bauernfamilie“ bezog sich wohl auch auf den neugeborenen Sohn ; er trug, wie sein Vater, den Vornamen Anton.270 Während sich die Figuren des zähen, fehlgeleiteten und vorbildlichen Bauern klar voneinander abhoben, verschwammen die Konturen des arbeitsamen und fleißigen Bau- ern. Sie bezeichneten die Mitte des Spektrums, den Normalfall, den ‚Durchschnitts- bauern‘  – oder, amtlich gesprochen, die „ordnungsmäßige Wirtschaftsführung“271. „Arbeitsam“ oder „fleißig“ zu sein, wurde fast drei Vierteln der Antragsteller/-innen zugestanden. Diese Eigenschaften verwiesen, wenn auch vermittelt durch die Brille des Sachbearbeiters, auf familienwirtschaftliche Strategien im Umgang mit der oft jahrelangen Schuldenlast. Entgegen der kapitalistischen Logik, bei fallender Rente aus einem Unternehmen auszusteigen, verblieben die Kleinhäusler- und Bauern- familien während der Agrarkrise seit Anfang der 1930er Jahre und  – wenn auch personell dezimiert durch die 1938 einsetzende Abwanderungswelle  – nach dem „Anschluss“ auf ihren überschuldeten Höfen.272 Mehr noch, mit abnehmendem Fa- milieneinkommen steigerten viele von ihnen ihre Anstrengungen und senken ihre Ansprüche. Überarbeit und Unterkonsum erscheinen als Teil des familienwirtschaft- lichen Habitus. Die Einschätzung des Inhabers eines mittelbäuerlichen Betriebes in Bad Pirawarth steht für viele Hofbesitzer/-innen : „Rüstiger Bauer, die Familie mit
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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