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165Regulative
der Ent- und Verwurzelung
Feld des Grundbesitzes, die bereits nach dem REG von 1933 viel weitreichender
für einen besonderen Rechtsstatus von Höfen – den „Erbhof“ – gegolten hatten.75
Die Präambel des REG zählt folgende „Grundgedanken“ auf :
„Land- und forstwirtschaftlicher Besitz in der Größe von mindestens einer Acker-
nahrung und von höchstens 125 Hektar ist Erbhof, wenn er einer bauernfähigen Per-
son gehört.
Der Eigentümer des Erbhofs heißt Bauer.
Bauer kann nur sein, wer deutscher Staatsbürger, deutschen oder stammesgleichen
Blutes und ehrbar ist.
Der Erbhof geht ungeteilt auf den Anerben über.
Die Rechte der Miterben beschränken sich auf das übrige Vermögen des Bauern.
Nicht als Anerben berufene Abkömmlinge erhalten eine den Kräften des Hofes ent-
sprechende Berufsausbildung und Ausstattung ; geraten sie unverschuldet in Not, so
wird ihnen die Heimatzuflucht gewährt.
Das Anerbenrecht kann durch Verfügung von Todes wegen nicht ausgeschlossen oder
beschränkt werden.
Der Erbhof ist grundsätzlich unveräußerlich und unbelastbar.“76
In der Präambel des REG können wir drei Prinzipien erkennen :77 Das erste Prin-
zip folgte der „Blut und Boden“-Ideologie, wonach der Erbhof durch das Teilungs-,
Belastungs- und Veräußerungsverbot aus dem freien Bodenmarkt herausgelöst und
möglichst dauerhaft der „Sippe“ des „deutschblütigen Bauern“ gesichert werden
sollte. Damit erhob das REG
– bereits zwei Jahre vor dem Reichsbürgergesetz von
1935 – die „Rasse“ zum Auslesemerkmal : „Deutschen oder stammesgleichen Blu-
tes ist nicht, wer unter seinen Vorfahren väterlicher- oder mütterlicherseits jüdi-
sches oder farbiges Blut hat.“78 Das zweite Prinzip leitete sich ab von Adolf Hitlers
Mein Kampf, in dem ein „fester Stock“ kleiner und mittlerer Bauern als der „beste
Schutz gegen soziale Erkrankungen“ erschien.79 Entsprechend dieser „mittelstän-
disch“ orientierten Auslese bezweckte das REG eine „gesunde Verteilung der land-
wirtschaftlichen Besitzgrößen“, weil „eine große Anzahl lebensfähiger kleiner und
mittlerer Bauernhöfe, möglichst gleichmäßig über das Land verteilt, die beste Ge-
währ für die Gesunderhaltung von Volk und Staat bildet“.80 Als Untergrenze oder
„Ackernahrung“ galt jene Fläche, „welche notwendig ist, um eine Familie unabhän-
gig vom Markt und der allgemeinen Wirtschaftslage zu ernähren und zu bekleiden
sowie den Wirtschaftsablauf des Erbhofs zu erhalten“. Diese konnte daher, je nach
Ertragslage, über oder unter dem gesetzlichen Richtwert von 7,5 Hektar liegen.
Die Obergrenze eines Erbhofes war mit 125 Hektar umrissen, durfte aber, etwa
in alpinen Lagen, ausnahmsweise überschritten werden.81 Folglich waren Zwerg-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937