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166 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
und Großbetriebe – erstere wegen betriebswirtschaftlicher, letztere wegen bevöl-
kerungspolitischer Vorbehalte – aus dem Geltungsbereich des REG ausgeschlos-
sen. Den ersten beiden Prinzipien der „rassischen“ und betriebsgrößenabhängigen
Auslese folgte auch das Gesetz zur „Neubildung deutschen Bauerntums“ von 1933,
das im „Lande Österreich“ im Februar 1939 in Kraft trat.82 Die beiden Gesetze
ergänzten einander, indem der „Bauer“, den das REG zu schützen trachtete, durch
Ansiedlung von „Neubauern“ geschaffen werden sollte.83 Das dritte Prinzip, die
Auslese nach dem Geschlecht, deutet der Begriff „Bauer“ – in Abgrenzung zum
„Landwirt“, dessen Besitz der Erbhofstatus fehlte – an ; eine „Bäuerin“ kannte der
Gesetzestext nicht. Vollends klar wird der „Vorzug des männlichen Geschlechts“ in
der „Anerbenordnung“ ; danach lautete die Rangreihe der erbberechtigten Nach-
kommen eines Erblassers : erstens die Söhne, deren Söhne oder Enkel, zweitens
der Vater, drittens die Brüder, deren Söhne oder Enkel, viertens die Töchter, deren
Söhne oder Enkel, fünftens die Schwestern, deren Söhne oder Enkel, sechstens
sonstige weibliche Nachkommen.84
Die Logik des REG folgte nicht nur dem groben Unterschied der Rassenzu-
gehörigkeit, der die Grenze zwischen inklusiver und exklusiver Bodenpolitik zog ;
sie enthielt auch feinere Unterschiede der Besitzklasse und des Geschlechts : Die
Gesamtheit der aufgrund ihrer „Deutschblütigkeit“ in den gesetzlichen Geltungs-
bereich Eingeschlossenen wurde in sich wiederum gespalten durch den Ein- oder
Ausschluss der Einzelnen nach klassen- und geschlechterbezogenen Merkmalen.
Dieses abgestufte Ausleseverfahren in die Praxis umzusetzen, war Aufgabe der mit
dem Vollzug des REG betrauten Anerbenbehörden : des Anerbengerichts (AEG)
beim Amtsgericht als erster Instanz,85 des Erbhofgerichts beim Oberlandesge-
richt als zweiter Instanz und des Reichserbhofgerichts in Berlin als dritter Instanz.
Neben den Berufsrichtern sah das Gesetz für Anerben- und Erbhofgerichte je-
weils zwei vom Reichsnährstand vorgeschlagene „Bauern“ als Laienrichter vor.86
Darüber hinaus besaß der Reichsnährstand für bestimmte Verfahren die Rechte
der Antragstellung und Stellungnahme. Die Anerbenbehörden verfügten über
beträchtliche Ermessensspielräume, weil das REG manche Bereiche, etwa „Ehr-
barkeit“ und „Wirtschaftsfähigkeit“ als Voraussetzungen der „Bauernfähigkeit“,
nicht näher definierte sowie beim Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ Ausnah-
men von den gesetzlichen Regelungen gestattete. Die Gerichte besaßen weitrei-
chende Eingriffsmöglichkeiten in die bäuerlichen Besitzrechte, die in der Erbhof-
rechts- und Erbhofverfahrensordnung von 1936 präzisiert wurden ; so konnten sie
im Fall mangelnder „Bauernfähigkeit“ die „Wirtschaftsüberwachung“ durch einen
„Vertrauensmann“, die Einsetzung eines treuhändischen Verwalters, die befristete
oder unbefristete „Entziehung der Verwaltung und Nutznießung“ („kleine Abmei-
erung“) sowie, als schwerwiegendste Sanktion, die „Entziehung des Eigentums am
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937