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181Das
Doppelgesicht der Bodenordnung
richten von diesem agrarpolitischen Vorhaben auch in Feldpostbriefen hinaus – und
kamen in Gestalt empörter Briefe der zuständigen Betreuungsoffiziere wieder in die
Heimat zurück und so auch auf meinen Schreibtisch. Der Schluß aller dieser Berichte
war, daß man es nicht verantworten könne, vom Soldaten zu verlangen, daß er an der
Front seinen Schädel hinhalte, wenn inzwischen in der Heimat dergestalt über ihn
und seine Familie verfügt würde – ohne daß er auch nur gefragt würde. Nach meiner
Berichterstattung über den ganzen Vorgang war die Reaktion Jurys so eindeutig wie
nur denkbar. Die Aktion wurde in Niederdonau eingestellt.“138
Gegenüber dieser Schilderung ist einiges Misstrauen angebracht : Der Autor neigt
dazu, seinen Einfluss auf den Reichsstatthalter und NSDAP-Gauleiter und dessen
Einfluss auf die zentralen Planungen zur „ländlichen Neuordnung“ zu überschät-
zen. Gegen die behauptete Einstellung der Aktion spricht die Tatsache, dass die
Planungsarbeiten in Niederdonau bis 1944 zu Ende geführt wurden ; und deren
Umsetzung im großen Maßstab war weniger am Widerstand Hugo Jurys als an
den inneren und äußeren Widersprüchen des Projekts
– vor allem am mangelnden
„Siedlungswillen“ der Betroffenen – gescheitert. Glaubhaft scheint hingegen die
Skepsis, mit der die regionalen Amtsträger der geplanten Aussiedlung von „Neu-
bauern“ aus den kleinbäuerlich geprägten Gebieten Niederdonaus begegneten ;
ähnliche Widerstände oder Versuche, die Planungen an regionale Leitbilder anzu-
passen, sind auch aus anderen Reichsgauen bekannt.139
Jedoch scheint die Skepsis der regionalen Herrschaftsträger in Niederdonau
nicht grundsätzlicher, sondern pragmatischer Art
– im Hinblick auf die Erhaltung
der Loyalität der Bevölkerung gegenüber dem NS-Regime – gewesen zu sein. In
diesem Sinn äußerte sich Landesbauernführer Anton Reinthaller im Mai 1942 :
„Auf die Frage, wieweit die in der Bevölkerung vorhandenen Gerüchte eine gewisse
Berechtigung haben, dass nämlich der deutsche Landwirt in Zukunft in den Osten
umgesiedelt werden soll, meine Reinthaller : Dieses Problem schneidet er in den ver-
schiedenen Bauernversammlungen immer wieder an und hat damit bei den Zuhörern
bisher noch keinerlei Unruhe feststellen können, sondern im Allgemeinen Zustim-
mung geerntet, allerdings immer unter der Bedingung, dass ein geschlossener Einsatz
stattfinde. Man denkt sich die Lösung dieser Frage derart, dass z. B. der Gau Oberdo-
nau später als Patronatsgebiet einmal das Protektorat bekommen werde und in diesem
Gebiet nur Landwirte aus Oberdonau, und hier auch nach Gemeinden zusammenge-
fasst, angesiedelt werden sollen.“140
Die grundsätzliche Zustimmung zur agrarischen „Großraumplanung“, von der in
diesem Gesprächsprotokoll die Rede war, lässt sich auch in anderen Fällen fest-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937