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183Das
Doppelgesicht der Bodenordnung
Richard W. Darrés im REM, herausgegebenen Zeitschrift Deutsche Agrarpolitik
nahm er dazu Stellung :
„Als die einmaligen Erfolge unserer Wehrmacht im Osten die für das deutsche Land-
volk geltende Tatsache ‚Volk ohne Raum‘ schicksalshaft in sein Gegenteil verkehrten,
tauchte der Begriff ‚Bauern auf kargen Böden‘ auf. Damit war ein Großteil unserer
Bergbauern, im engeren und weiteren Sinne Bauern und Landvolk mit ungenügender
Besitzgröße und Bauern auf nährstoffarmen Böden sowie in verkehrsentlegenen und kli-
matisch nicht begünstigten Gebieten [Hervorhebungen im Original] gemeint, die nun
für die Besiedlung und Bewirtschaftung der meist guten Böden im Osten in Frage
kommen sollten. Es wurde von berufener und unberufener Seite in berechtigter und
unberechtigter Form die Forderung herausgestellt, die Gesundung weiter Teile un-
seres Landvolks durch Herausnahme und Neuansiedlung von Teilen desselben im
Osten in großzügiger Form in die Wege zu leiten. Als ein schier unerschöpfliches
Reservoir für diesen Menschenstrom sah und sieht man ‚Bauern auf kargen Böden‘ an,
wobei karge Böden als Land für zu gründende Forste und Waldgürtel gedacht ist.“146
Der Autor ließ keinen Zweifel an seiner Ablehnung dieser Forderung offen. Nicht
der „Bauer auf kargen Böden“, der „nach wie vor den besten Blutspender der Na-
tion und somit ein nationales Heiligtum und einen nicht unbeachtlichen Wirt-
schaftsfaktor“ darstelle, sondern überzählige Bauernsöhne und -töchter sowie die
von Bombenangriffen geplagte Stadtbevölkerung sollten die eroberten – und zum
Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels zum Teil bereits wieder verlorenen – Ost-
gebiete bevölkern. Begründet sei diese Gegenforderung durch die Leistungen der
Bergbauern, „die jenen ihrer glücklicher gebetteten Berufskameraden gleichkommen, ja,
sie in manchem übertreffen [Hervorhebung im Original]“ : einerseits die „biologische
Leistung“, die in der Aufzucht „rassisch“ wertvoller Menschen bestehe, anderer-
seits die wirtschaftliche Leistung auf dem Gebiet der Milchwirtschaft und der
Erzeugung widerstandsfähigen Saatguts.147 Seit seiner Berufung zum Leiter der
Unterabteilung „Bergland“ im REM 1940 hatte Reinthaller in ähnlichen Artikeln
wiederholt den jenseits des Materiellen liegenden „ideellen“ Mehrwert des „Berg-
bauerntums“ propagiert ;148 bereits damals wallte die Debatte über die Lösung der
„Bergbauernfrage“ durch deren Umsiedlung in die fruchtbaren Ebenen im Osten
auf.149 Ein Zusammenhang zwischen den ländlichen Neuordnungsplänen, die seit
1939 im Auftrag des Reichsernährungsministers und Reichsbauernführers flächen-
deckend durchgeführt wurden, und den alarmistischen Artikeln zur Lösung der
„Bergbauernfrage“ liegt auf der Hand. Als Antrieb für den publizistischen Vorstoß
Reinthallers kann der seit 1942 drohende Machtverlust der Bergbauern-Lobby im
Planungsapparat des „Dritten Reiches“ angenommen werden.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937