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194 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
den Kaufvertrag der Oberen Siedlungsbehörde zur Genehmigung vorzulegen“ ;
im Weigerungsfall wurde gedroht, die Veräußerung über einen Treuhänder ab-
zuwickeln.171 Wenige Tage später erklärte eine in Wien wohnende ehemalige
Mitarbeiterin der Brüder Glaser in deren Namen die Zustimmung zum Verkauf ;
zudem sei bereits ein Käufer in der Person von Leopold Hutter, Gutsbesitzer in
Markgrafneusiedl, in Aussicht.172 Etwa zur selben Zeit intervenierte das Luft-
gaukommando XVII bei der Oberen Siedlungsbehörde für Leopold Winner, der
ein Jahr zuvor etwa 70 Hektar Land für die Errichtung eines Flugplatzes verkauft
hatte. Die DAG sei bereit, auf ihr Vorkaufsrecht zugunsten der Grundaufstockung
für den Gutsbesitzer zu verzichten.173 Kurz darauf übermittelte der Kaufwerber
einen Kaufvertrag zur Genehmigung, der eine Kaufsumme von 80.000 Reichs-
mark vorsah.174 Diese Kalkulation entsprach der Gutsbeschreibung der DAG, die
den Wert der „sehr mangelhaft[en]“ Gründe auf 78.000 bis 93.000 Reichsmark
bezifferte.175
Im Zuge einer Verhandlung im Oktober 1939 berieten Vertreter der Oberen
Siedlungsbehörde, des Reichsnährstandes und der DAG über den Fall. Der Kauf-
werber wurde zwiespältig beurteilt : Zwar sei er „tüchtig“, jedoch in politischer
Hinsicht „nicht sehr günstig“ – wenn auch „nicht als politisch unzuverlässig“ – zu
bewerten. Aufgrund der schlechten Bodengüte und der großen Entfernung von der
Ortssiedlung sei der Grund weder für Neusiedlungs- noch für Anliegersiedlungs-
zwecke geeignet. Damit schienen die Weichen für die Genehmigung des Kauf-
vertrags gestellt ; doch dann tauchte ein weiteres Hindernis auf : Der Kaufpreis
von 516 Reichsmark pro Hektar entspreche nicht dem angemessenen Wert von
700 Reichsmark pro Hektar ; hingegen betrage der Siedlungsverkehrswert nur 223
Reichsmark pro Hektar (Tabelle 3.5). Daher wurde die Zustimmung von zwei
Auflagen abhängig gemacht : Die Verkäufer sollten den Differenzbetrag zwischen
dem Kaufpreis und dem Siedlungsverkehrswert, der Käufer jenen zwischen dem
Kaufpreis und dem angemessenen Wert an das Deutsche Reich abliefern.176 Im
Mai 1940 genehmigte der Reichsstatthalter in Niederdonau, Obere Siedlungsbe-
hörde, den Vertrag mit der Auflage, dass Leopold Hutter eine Ausgleichsumlage
von 29.550 Reichsmark an das Deutsche Reich zu leisten habe. Für die grundbü-
cherliche Sicherstellung fehlte noch die Unterschrift des mittlerweile über Groß-
britannien in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewanderten Alfred Glaser ;
dieses Hindernis wurde durch die Bestellung von dessen ehemaliger Angestellter
zur Abwesenheitskuratorin aus dem Weg geräumt.177 Nach dem Grundbuchsein-
trag178 und der Überweisung des Kaufpreises auf die Sperrkonten der Verkäufer179
konnten die Behörden den Fall ad acta legen.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937