Seite - 212 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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212 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Trotz des starren Korsetts handhabten die Gerichte das REG bei Hofübergaben
flexibel, wie etwa der Fall von Anton und Rosalia Weiß in Zogelsdorf zeigt. 1942
beantragten der Eigentümer und die Eigentümerin eines 15 Hektar großen „Ehe-
gattenerbhofs“ die Streichung einer 0,5 Hektar kleinen Parzelle aus der Erbhöfe-
rolle. Das Grundstück liege zu weit vom Hof entfernt, um rationell bewirtschaftet
zu werden ; daher sei es seit 1925, als es auf dem Erbweg in ihren Besitz gekommen
war, verpachtet. Da nicht zum Erbhof gehörig, solle die Parzelle zur Errichtung
eines Kleinhauses an die Tochter Anna als Teil der Entschädigung für die jahre-
lange Mitarbeit am Hof übertragen werden ; der andere Teil werde im Zuge der
Übergabe des Erbhofes an den Sohn Anton mit 7.000 Reichsmark abgegolten.235
Entgegen der Bedenken des Kreisbauernführers und bestärkt durch die Bestäti-
gung der Angaben durch einen bäuerlichen Anerbenrichter genehmigte das AEG
den Antrag zugleich mit dem Übergabevertrag.236 Die Besonderheiten dieses Fal-
les verweisen auf ein allgemeines Argumentationsmuster : Dass das abzutrennende
Grundstück für die Wirtschaftsführung nicht notwendig oder sogar nachteilig sei,
diente als Schlüsselargument für diese Art von Anträgen. Freilich achteten die
Anerbenrichter stets darauf, dass die „Ackernahrung“ durch die Ausscheidung der
Parzelle aus der Erbhöferolle nicht unterschritten wurde.
Die indirekte Übertragung einer Parzelle durch Streichung aus der Erbhöferolle
war eine Lösung des Problems, das das erbhofgesetzliche Teilungsverbot aufge-
worfen hatte ; eine andere Lösung eröffnete die direkte Übertragung per Gerichts-
beschluss. Der erste Weg wurde häufig in der Weinbauzone, letzterer öfter in den
übrigen Gemeinden eingeschlagen (Tabelle 3.9). So beantragte etwa Maria Wie-
ner, Eigentümerin eines 27 Hektar umfassenden Erbhofs in Kleinmeiseldorf, 1939
wegen Geldmangels die Abfindung ihrer Tochter mit 0,5 Hektar Obstgarten zur
Errichtung eines Kleinhauses. Die übrigen drei Töchter hatten bereits Geldbe-
träge erhalten, und der Sohn war als Anerbe vorgesehen.237 Da der Kreisbauern-
führer eine Ausnahme vom Teilungsverbot befürwortete und wegen der Größe des
Erbhofes – eines für die Gegend „starke[n] Hof[es]“ – die „Ackernahrung“ nicht
gefährdet schien, sahen die Richter einen „wichtigen Grund“ im Sinn des REG
zur Genehmigung der Grundabtrennung gegeben.238 Die hier verfolgte Argumen-
tation war, gesamt gesehen, im AGB Eggenburg eher die Regel als die Ausnahme.
Sogar Nachkommen aus verschiedenen Ehen stellten kein Hindernis dar : Ka-
tharina Schuster aus Obermixnitz beantragte 1939 die Ausstattung ihrer Tochter
mit 0,1 Hektar Weingarten. Diese Tochter stammte aus der ersten Ehe der An-
tragstellerin, die nach dem Tod ihres Mannes ein zweites Mal geheiratet hatte.239
Reichsnährstand und AEG begründeten ihre Zustimmung zum Heiratsgutbe-
stellungsvertrag in folgender Weise : Mit einer Größe von 30 Hektar war „keine
nennenswerte Schwächung des Hofes“ gegeben ; der übertragene Weingarten war
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937