Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Seite - 221 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 221 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Bild der Seite - 221 -

Bild der Seite - 221 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Text der Seite - 221 -

221Wer ist (k)ein „Bauer“ ? gerte Resistenz gegen Anreize und Zumutungen des NS-Regimes  – und damit ein erhöhtes Risiko, in die Mühlen der Erbhofgerichtsbarkeit zu geraten.272 Freilich können die Besonderheiten von 25 Verfahren an vier AEG nicht einfach für die Erbhofgerichtsbarkeit im Reichsgau Niederdonau verallgemei- nert werden ; doch wirft bereits diese kleine Zahl an Gerichtsverfahren Licht auf ein großes Vorhaben : die Eindämmung des Widerspruchs zwischen „Blut und Boden“-Ideologie und (Kriegs-)Ernährungswirtschaft. Überprüfungen der kriegs- wirtschaftlich entscheidenden „Wirtschaftsfähigkeit“ lagen nicht nur zahlenmä- ßig, sondern auch hinsichtlich des Ausschlusses der Hofeigentümer/-innen vom Status des „Erbhofbauern“ voran. Sie erreichten 1941/42, als nach dem Angriff auf die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Ame- rika der „Blitzkrieg“ in den Abnützungskrieg umschlug, ein Übergewicht. Eher bauerntumsideologisch unterlegte Verfahren zur „Ehrbarkeit“ waren nicht nur sel- tener, sondern auch hinsichtlich ihrer Urteile inklusiver. Sie kennzeichneten die Radikalisierungsphase 1943/44, in der die Mobilisierung gegen den „Bolschewis- mus“ hervortrat. Die Erbhofgerichtsbarkeit zur „Bauernfähigkeit“ erfüllte allem Anschein nach  – jenseits der ideologischen Intention des REG  – die Funktion der politisch-ökonomischen Steuerung der Erbhöfe, nicht nur in Niederdonau, sondern auch in anderen Regionen des Deutschen Reiches.273 Zwar entfaltete die Fremdsteuerung durch die Behörden angesichts der geringen Zahl der Verfahren nur begrenzte Wirkung. Doch verschärften die abschreckenden Urteile  – bis hin zur öffentlich kundgemachten „Abmeierung“, dem befristeten oder endgültigen Entzug des Erbhofeigentums274  – über die bäuerliche Selbststeuerung den Druck, der verordneten Norm des „Erbhofbauern“ in der Alltagspraxis zu entsprechen. Kurz, der politisch-ökonomische Steuerungseffekt der Erbhofgerichtsbarkeit ba- sierte nicht auf umfassender, sondern exemplarischer Bestrafung ; daher hielt sich die Zahl der Verfahren gegen nicht „bauernfähige“ Erbhofeigentümer in Grenzen. Der Raum der „Bauernfähigkeit“ beleuchtet über strukturelle Momente hinaus auch die Praktiken der vor Gericht auftretenden Akteure. Eine Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Fälle war die Überlappung von gesetzlicher und alltägli- cher Moral. Weder „Wirtschaftsfähigkeit“ noch „Ehrbarkeit“ wurden allgemein per Gesetz definiert, sondern sollten von der Erbhofgerichtsbarkeit gemäß der bäuerlichen „Standesehre“ den Besonderheiten des jeweiligen Falles entsprechend beurteilt werden.275 Damit öffnete sich für die aus einem Berufsrichter und zwei „Erbhofbauern“ als Laienrichtern zusammengesetzten AEG ein enormer Ermes- sensspielraum in der Beurteilung der von den Verfahrensbeteiligten und ihren Rechtsvertretern verfochtenen Moralauffassungen  – eine Eigenart, die sowohl zeitgenössische Beobachter276 als auch die historische Forschung277 immer wie- der festgestellt haben. Mit dem Verhandlungsraum im Amtsgericht betreten wir
zurück zum  Buch Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Schlachtfelder