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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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222 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe einen Ort, an dem die zusammenwirkenden oder auseinanderlaufenden Strate- gien und Taktiken der Beteiligten  – Antragsteller/-innen, Hofeigentümer/-innen, Erbhofanwärter/-innen, Rechtsanwälte, Zeuginnen und Zeugen, Gutachter, Be- rufs- und Laienrichter und so fort  – aufeinandertrafen. Die unterschiedlich mäch- tigen Beteiligten verfochten unter Einsatz entsprechender Ressourcen wie Ver- trauen, Expertise oder Fürsprache ihre je eigene Sicht der Dinge  – und nahmen darüber einen Standpunkt zum Anspruch auf Erbhofeigentum ein. Der juristische Expertendiskurs der „Bauernfähigkeit“ bot diesen Auseinandersetzungen einen Raum, der das Denken und Handeln der Kontrahenten zugleich einschränkte und ermöglichte. In diesem Diskursraum markierten das REG, seine Erläuterun- gen und die veröffentlichten Urteilssprüche278 verschiedene Subjektpositionen  – „Bauer“, „Anerbe“, „Ehegatte“ und so fort. Die vor Gericht auftretenden Akteure machten sich zu Subjekten dieser Diskurse, indem sie sich darin positionierten, das heißt mit manchen Positionen identifizierten und zu anderen in Differenz traten.279 Dieses Wechselspiel von Positioniert-Werden und Sich-Positionieren im Kampf um das Hofeigentum lässt sich anhand ausgewählter Fälle im Raum der „Bauernfähigkeit“ genauer erkunden. Die beiden zum ersten Fall gehörenden Verfahren finden sich im rechten oberen Bereich des Raumes der „Bauernfähigkeit“. Ludwig Rothensteiner bewirtschaf- tete in Rafing im AGB Eggenburg einen zehn Hektar großen Erbhof. 1940 be- antragte der Reichsnährstand die „Abmeierung“ des Erbhofeigentümers sowie die Übertragung von „Verwaltung und Nutznießung“ an dessen gleichnamigen Vater. Der Landesbauernführer begründete diese scharfe Maßnahme mit mangelhafter Wirtschaftsführung und unehrenhaftem Verhalten aufgrund homosexueller Nei- gungen.280 Eine Reihe einvernommener Zeuginnen und Zeugen aus der Nachbar- schaft belasteten Rothensteiner schwer und sprachen ihm die „Bauernfähigkeit“ ab. Demnach sei er weder gewillt noch imstande, wie ein „echter Bauer“ mit dem Fuhrwerk die Äcker zu bearbeiten ; stattdessen widme er sich den Tätigkeiten in Küche und Garten. Darüber hinaus unterhalte er „perverse“ Beziehungen mit ei- nem seiner früheren Knechte, mit dem er in Briefkontakt stehe und den er wieder- holt besucht habe.281 Der Beschuldigte entgegnete bei mündlichen Einvernahmen und schriftlichen Eingaben seines Rechtsanwalts, er sei wegen des Fehlens weib- licher Arbeitskräfte gezwungen, Hausarbeit zu verrichten. Zudem sei der Kontakt mit dem früheren Knecht einzig und allein durch Verantwortungsgefühl und die gemeinsame Jagdleidenschaft begründet.282 Offensichtlich war das Gerichtsverfah- ren nur das Aufflammen eines schwelenden Konflikts um den Hofbesitz zwischen dem „Bauern“ und dessen Bruder, der bei der Hofübergabe nicht zum Zug gekom- men war. Jede der Streitparteien versuchte, Zeuginnen und Zeugen zur Bekräfti- gung des je eigenen Standpunkts zu mobilisieren ; einige, etwa der Ortsbauern-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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