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256 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Antragsteller/-innen vor dem AEG. Auf diese Weise suchten sie sich das boden-
politische Regelwerk auf ihre Weise anzueignen, um Grundbesitzansprüche
– etwa
im Zuge ehelicher, familiärer oder verwandtschaftlicher Konflikte
– durchzusetzen.
Der Gerichtssaal wurde zur öffentlichen Vorderbühne eines Dramas, dessen Ge-
schehen die halböffentliche und private Hinterbühne von Hof, Nachbarschaft und
Dorf in erheblichem Maß bestimmte. Neben den eigentlichen Rechtssachen bilde-
ten vor allem die Geschlechterrollen der vor Gericht Auftretenden einen Verhand-
lungsgegenstand zwischen Angehörigen ländlicher Milieus, regionalen Amtsträ-
gern und akademisch geschulten Juristen. So trat neben die von der staatlichen
Zentralgewalt ausgehende Macht die „Mikrophysik der Macht“ – jene dezentrale
Macht, welche die Akteure im alltäglichen Ringen um Landressourcen aufeinan-
der ausübten.
Wenn sich im Feld des ländlichen Grundbesitzes auch der Akzent von den
Markt- zu den Staatsmechanismen verlagerte, konnte von einer Einzementie-
rung des „Grundstückverkehrs“ keine Rede sein. Gesamt gesehen bewirkte der
wachsende Bedarf an Land für Militär- und Bauzwecke eine Abnahme der land-
und forstwirtschaftlichen Nutzfläche. Aber auch zwischen den einzelnen Höfen
herrschte regionen- und zeitweise ein erheblicher Austausch an Landressourcen.
So zeigten die kleinbäuerlich geprägten Regionen Litschau und Matzen 1941/42
und 1942/43 einen lebhaften Transfer an Kulturflächen. Dessen ungeachtet fand
die „Verbäuerlichung“ des Gutsbesitzes nur ansatzweise statt. Die Zu- und Abnah-
men der (unter-)bäuerlichen Kulturfläche beruhten teils auf der Herausnahme von
Flächen aus der Bewirtschaftung, zum anderen Teil auf Transfers wie Kauf, Pacht,
Tausch und so fort. Der von lokalen und regionalen Pfadabhängigkeiten bestimmte
Parzellentransfer führte teils zur Befestigung der Landbesitzverteilung, teils wurde
Boden von ‚unten‘ nach ‚oben‘ umverteilt. Gesamt gesehen wies die Grundtendenz
in Richtung gleichbleibender Kulturflächen bei abnehmender Intensität der Land-
nutzung. Hingegen folgten die betrieblichen Agrarsysteme eigenständigen Stilen
des Umgangs mit Grund und Boden, die unterschiedliche Maße an Resilienz und
Vulnerabilität signalisieren : Auf- und Abwirtschaften, Umkrempeln und Weiterma-
chen. Trotz forcierter Redistribution von Landbesitzrechten vermochte die natio-
nalsozialistische Bodenordnung davon abweichende Transfers marktmäßiger oder
reziproker Art nicht auszuschalten.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937