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273Die
Steuerung der „Landflucht“
die „Landwirtschaftsflucht“ in Abhängigkeit aller übrigen Merkmale betrachtet.
Da die ersten beiden Dimensionen des Raums der regionalen Agrarsysteme zu-
sammen bereits 66 Prozent der Gesamtstreuung erfassen, bleiben die weiteren
unberücksichtigt (Abbildung 4.3). Die waagrechte und mit 43 Prozent erfasster
Streuung wichtigste Dimension lässt sich als Größen- und Intensitätsprofil charak-
terisieren. Am linken Pol findet sich der extensiv bewirtschaftete Großbetrieb mit
hohem Anteil ständiger Fremdarbeitskräfte ; am rechten Pol ist der kleine Famili-
enbetrieb mit hoher Arbeits- und Vieh intensität angesiedelt. Die senkrechte und
mit 23 Prozent erfasster Streuung zweitwichtigste Dimension entpuppt sich als
Marktlage. Der untere Pol markiert die ausgeprägte Agrarregion mit vielfältiger
Bodennutzung und wenig Erwerbsalternativen ; am oberen Pol finden wir die stark
industrialisierte Region mit spezialisiertem Marktfrucht-Ackerbau und agrarisch-
industrieller Erwerbskombination. Wie die vier Pole verweisen auch die vier
Fluchtrichtungen des zweidimensionalen Raumes auf idealtypische Ausprägun-
gen regionaler Agrarsysteme : großbetrieblich-extensive Ackerwirtschaft mit Erwerbs-
kombination in der linken oberen Ecke, großbetrieblich-extensive Mischwirtschaft im
Haupterwerb in der linken unteren Ecke, kleinbetrieblich-intensive Ackerwirtschaft
mit Erwerbskombination in der rechten oberen Ecke und kleinbetrieblich-intensive
Mischwirtschaft im Haupterwerb in der rechten unteren Ecke. Die zwischen diesen
Idealtypen angeordneten – teils verstreuten, teils zusammengeballten – Standorte
der Landesbauernschaften bezeichnen Realtypen regionaler Agrarsysteme. Das
Donauland kommt knapp neben dem Ursprung zu liegen ; damit steht es hinsicht-
lich der ausgewählten Agrarsystemmerkmale für den Durchschnitt aller Landes-
bauernschaften.
Die Anordnung der Landesbauernschaften im Raum der regionalen Agrar-
systeme zeigt ein bemerkenswertes Ergebnis : Die Konzentration der „Landwirt-
schaftsflucht“ im geographischen Raum setzt sich auch im agrarsystemischen
Raum fort. Die Landesbauernschaften mit überdurchschnittlichen Rückgängen
der Agrarbevölkerung ballen sich jeweils in zwei Regionen zusammen : Im und
nahe dem linken oberen Quadranten finden sich die im deutschen Nordosten ge-
legenen Landesbauernschaften Kurmark, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein,
Pommern, Ostpreußen und Sachsen ; dazu gesellen sich Schlesien, Mecklenburg
und Niedersachsen mit Abnahmeraten am oberen Ende des als Durchschnitt fest-
gelegten Intervalls. Im und nahe dem rechten unteren Quadranten versammeln
sich die im deutschen Südwesten gelegenen Landesbauernschaften Rheinland,
Bayern, Württemberg, Kurhessen und Hessen-Nassau ; auch Baden und Westfalen
zeigten nahezu überdurchschnittliche Abnahmeraten. Kurz, die physische Nähe
innerhalb der beiden Gruppen von Landesbauernschaften mit ausgeprägter Ab-
wanderung korrespondiert mit struktureller Ähnlichkeit. Folglich lässt sich die
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937