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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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306 „Menschenökonomie“ unter Zwang frostigen Arbeit in den winterlichen Wäldern erahnen. Wo kaum Solidarbeziehun- gen zu den Familien der Dienstgeber/-innen bestanden, etwa beim Lagereinsatz von Kriegsgefangenen, „Ostarbeitern“ sowie „ungarischen Juden“, konnten sich die Ausländer/-innen der körperlichen Überanstrengung kaum entziehen. Hingegen suchten in anderen Fällen die Schwächeren Bündnisse mit Stärkeren, wie Helene Pawlik erzählt : „Ende August ist es gewesen, da hat der Sohn [des Bauern] Urlaub gehabt, der zweite, und der Bauer hat Wald abgeschlagen, Wald abgeschlagen, da ist draußen [auf den Feldern] keine Arbeit mehr gewesen, da haben wir schon alle Sachen [Ernte] im Stall gehabt, hat er gesagt, ich muss Holz holen vom Wald, und da muss ich auch die Bäume, die Wipfel und auf der Seite die Äste abhacken und auf den Schubkar- ren hinauflegen. Hab ich gesagt zum Sepp, äh, Fritz, sag ich : Fritz, du kannst dir nicht vorstellen, dein Vater ist so garstig, ich kann nicht mehr und da muss ich noch Schubkarren fahren. Ich hab ja schon in der Brust keine Milch mehr, sag ich, muss das führen. Und danach ist er hingekommen zum Vater und hat ihm das gesagt. Hat er gesagt : Wenn sie dir erbarmt, nimm sie mit nach Russland. Das hat er ihm zur Antwort gegeben, das hab ich selbst gehört. Hat er gesagt, ich brauch ja das Holz im Winter, sie muss Holz führen. Und so habe ich Holz geführt, ist mir nichts anderes übrig geblieben. Dann hab ich Holz abgeschlagen und es ist so viel übrig geblieben. Der hat kein Erbarmen übrig gehabt für Menschen, kein Erbarmen.“186 In dieser Szene überlagern sich klassen-, geschlechter- und rassenbezogene Zu- schreibungen. Vom Standpunkt des Bauern aus betrachtet, zählt die polnische Landarbeiterin  – ihr Status als Dienstbotin, Frau und Polin  – wenig ; daher scheint es ihm gerechtfertigt, sie zu harter Körperarbeit zu zwingen. Die Frau sieht an- gesichts der Überforderung in dessen Sohn einen möglichen Verbündeten ; ihm gegenüber nimmt sie Bezug auf Geschlechterstereotypen, indem sie weibliche Zu- schreibungen  – das Versorgen des Kindes mit Muttermilch  – für sich in Anspruch nimmt und männliche Zuschreibungen  – das Fällen, Hacken und Heimführen des Brennholzes  – von sich weist. Die Beziehung zwischen der polnischen Landarbei- terin und dem Bauernsohn erhält eine romantische Komponente zugesprochen. Dafür spricht nicht nur die Verwechslung von dessen Vornamen mit dem Vorna- men ihres Kindes ; auch eine vom Bauernsohn aufgenommene Fotografie, auf der Helene Pawlik, einem verbreiteten Muster bäuerlicher Selbstdarstellung folgend, im geborgten Sonntagskleid neben einem aufgezäumten Ochsen posiert, deutet auf die romantische Beziehungskomponente hin (Abbildung 4.14). Letztlich be- hielt die hausväterliche Gewalt die Oberhand ; mit den Worten : „Nimm sie mit nach Russland“ wehrte er die Fürsprache des Sohnes ab. Auf diese Weise behaup-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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