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Arbeit als alltägliches Kräftefeld
gen Erzählen häufig in ein verklärtes Licht gerückt wird. Waren die ausländischen
Bediensteten einmal angelernt, erschienen sie für die Dienstgeber/-innen vielfach
kaum mehr entbehrlich. In Konfliktfällen zählte oftmals der mögliche Verlust an
Wissen und Können mehr als die Gegenleistungen an die Landarbeiter/-innen.
Nicht zuletzt die unsachgemäße Behandlung der Geräte und Maschinen hätte ei-
nen finanziellen und, angesichts der Lieferengpässe, kaum wieder gutzumachenden
Schaden verursacht.194 Ließen sich einfachere Geräte noch irgendwie ersetzen, war
dies bei komplizierten Maschinen nahezu unmöglich. Geschulte Ausländer/-innen
waren daher angesichts des Mangels an inländischen Fachkräften vor allem in den
mechanisierten Großbauern- und Gutsbetrieben äußerst begehrt. Bereits im Sep-
tember 1940 gestattete der Reichsstatthalter in Niederdonau im Einvernehmen
mit dem Reichsführer SS die Verwendung von Kriegsgefangenen als Führer von
Zugmaschinen in landwirtschaftlichen Betrieben.195 Im November 1942 wandte
sich die Gutspachtung Gattendorf vehement gegen das angebliche Verbot, sowje-
tische Kriegsgefangene als Traktorführer zu beschäftigen „da wir sonst überhaupt
nicht in der Lage sind, die Traktoren und sonstigen Maschinen voll zu besetzen.
Es hat sich herausgestellt, dass die Russen in jeder Weise ihre Arbeit, wenigstens
auf meinem Betrieb, ganz tadellos erledigen.“196 Unter Hinweis auf die „Sabota-
gegefahr“ teilte die Kreisbauernschaft Bruck an der Leitha mit, dass unter „sach-
verständiger, umfassender und ständiger Aufsicht“ der Einsatz der sowjetischen
Kriegsgefangenen möglich sei.197 In diesem Fall wogen die betriebswirtschaftli-
chen Bedenken schwerer als die rassenpolitischen.
In den Augen der Betriebsbesitzer/-innen nützten Kraft und Ausdauer, Wis-
sen und Können wenig, wenn nicht auch Verlässlichkeit und Motivation gegeben
waren. Den Umgang mit Unzuverlässigkeit und Demotivation zeigt der Fall des
24-jährigen polnischen Landarbeiters Sigismund Janofsky, der in einem Bauern-
betrieb in Erlach, Kreis Wiener Neustadt, beschäftigt war. Im März 1942 nahmen
ihn Gendarmen aufgrund einer Anzeige seines Dienstgebers wegen fahrlässiger
Gefährdung fremden Eigentums fest. Zugleich wurde bei der Gestapo-Außen-
stelle Wiener Neustadt der Antrag gestellt, ihn nach der Entlassung aus dem Ge-
fangenenhaus beim Landgericht Wiener Neustadt in ein Arbeitslager einzuliefern.
Die Tatgeschichte mutet vergleichsweise belanglos an : Laut Aussage des Bauern
war der Verdächtige auf dem Heuboden mit dem Mischen des Futters beschäftigt.
Nach einiger Zeit
„[…] wollte ich mich überzeugen, ob er auch tatsächlich arbeitete. Aus diesem Grund
stieg ich langsam und geräuschlos über die Leiter zum Boden hinauf. Als ich zur Türe
des Heubodens kam, saß Sigismund Janofsky auf einem Sparren und zündete sich
soeben eine Zigarette an. Nachdem rund um ihn herum trockenes Heu lag, machte
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937