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Arbeit als alltägliches Kräftefeld
Arbeitsleistung mässig, stehen innerlich dem deutschen Volke sicherlich feindlich
gegenüber, doch kommt es in letzter Zeit zu keinen Äußerungen, aus denen die
tatsächliche Stimmung dieser Arbeiter zu entnehmen wäre.224 Offenbar sah der
Landrat einen Zusammenhang zwischen den weltanschaulichen Orientierungen
und der Arbeitsleistung der ausländischen Arbeitskräfte ; das war wohl eher die
Logik des Beobachters als der Beobachteten. Bereits zwei Monate später, im Feb-
ruar 1942, schätzt er die Arbeitsleistung als „im allgemeinen zufriedenstellend“ ein.
Allerdings gebe es „nur vereinzelt Polen, die von ihren Arbeitgebern als vollwertige
Arbeitskräfte anerkannt werden“.225
Im Sommer 1942 kam mit den „Ostarbeitern“ auch im Kreis Wiener Neu-
stadt eine neue Kategorie von „Fremdvölkischen“ zum Einsatz, die durch das neu
eingerichtete Auffanglager geschleust wurden. Im August 1942 wurden die Leis-
tungen der in der Landwirtschaft eingesetzten sowjetischen Zivilarbeiter/-innen
als „zufriedenstellend“ bezeichnet.226 Einen Monat später betonte der Berichter-
statter die „große Bedeutung“ des „Ostarbeitereinsatzes“ für die Einbringung der
Ernte ; deren Verhalten, insbesondere jenes der ukrainischen Landarbeiterinnen,
sei lobenswert.227 Im Dezember 1942 wurden die „Ostarbeiter“, abgesehen von
einigen Fällen von „Arbeitsverweigerung“, nicht gesondert etikettiert.228 In der
positiven, bisweilen euphorischen Beurteilung der „Ostarbeiter“ im Sommer 1942
mochte auch die Abschwächung rassistischer Stereotypen aufgrund alltäglicher
Erfahrungen mitschwingen. Die im rassistischen Diskurs als primitive „Unter-
menschen“ Etikettierten, vor allem aber die Frauen aus den besetzten Ostgebieten,
erschienen im Alltag als brauchbare, lernfähige Landarbeiter/-innen. So kam es
paradoxerweise dazu, dass die Berichte des Landrates die zu diesem Zeitpunkt
am stärksten diskriminierte Kategorie ausländischer Zivilarbeiter/-innen in den
höchsten Tönen lobte. Doch die Euphorie des Landrates über die ausländischen
Arbeitskräfte war von kurzer Dauer. Ab der Jahreswende 1942/43 mischten sich
in diese durchwegs positive Leistungsbeurteilung negative Eindrücke ; erstmals
war von „geringen Ausnahmen“ von der guten Arbeitsleistung und vom Aus-
bleiben „besonderer Klagen“ über die Ausländer/-innen die Rede.229 Im Februar
1943 wertete der Berichterstatter die Arbeitsleistung der Ausländer/-innen nicht
mehr, wie in den vergangenen Berichten, als „zufriedenstellend“ ; sie gebe eben
nur „zu keinen besonderen Klagen Anlaß“.230 Dass die Debatte um die Nieder-
lage der Deutschen Wehrmacht in Stalingrad die Deutungen des Beobachters
beeinflusste, ist anzunehmen ; er teilte wohl bis zu einem gewissen Grad die von
ihm geschilderte „Gedrücktheit und Ängstlichkeit“ der Bevölkerung und regis-
trierte das Verhalten der im Kreis eingesetzten Ausländer/-innen mit erhöhter
Sensibilität. Doch von solchen Wahrnehmungen war in den folgenden Monaten
nicht die Rede. Die Arbeitsleistungen schienen unverändert ; ein Absinken wurde
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937