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326 „Menschenökonomie“ unter Zwang
nicht mehr als ein Taschengeld. In den ersten Monaten wurde den meisten in der
Landwirtschaft eingesetzten „Ostarbeitern“ nach den geltenden Bestimmungen
nichts ausbezahlt.250 Nach der Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbei-
ter vom Juni 1942 lagen die Auszahlungsbeträge für „Ostarbeiter“ im vorliegenden
Berechnungsbeispiel zwischen 16,50 und 12 Reichsmark bei Männern und 10,50
bis 7,50 Reichsmark bei Frauen.251 Nach der Änderung dieser Verordnung vom
April 1943 erhöhten sich die Beträge bei Männern auf 24 bis 18, bei Frauen auf 15
bis 12 Reichsmark ; zusätzlich wurden nun Leistungszulagen und ab August 1943
sogar Treueprämien zulasten der „Ostarbeiterabgabe“ möglich.252 Im Juli 1944
wurde für die „Ostarbeiter“ in der Landwirtschaft eine eigene Reichstarifordnung
geschaffen, deren Tariflöhne jenen der polnischen Arbeitskräfte entsprachen. Nun
waren die sowjetische Zivilarbeiter/-innen trotz des „Beschäftigungsverhältnis-
ses eigener Art“ sozialversicherungspflichtig und erhielten einige Zuschläge. Die
rechtliche Gleichstellung der „Ostarbeiter“ mit den Inländer/-innen vom März
1945 hatte keinerlei praktische Auswirkungen auf deren Arbeits- und Lebensbe-
dingungen.253
Die Entlohnung der Kriegsgefangenen folgte einem gänzlich anderen Schema.
Der Dienstgeber schloss keine individuellen Verträge mit Kriegsgefangenen ab,
sondern einen kollektiven Überlassungsvertrag mit dem Reich. Von der Ent-
schädigung, die er an das Stalag zahlte, wurde nur ein Teil den Kriegsgefangenen
ausbezahlt. Ab Oktober 1941 waren für jeden in der Landwirtschaft eingesetzten
Kriegsgefangenen 0,80 Reichsmark pro Arbeitstag bei freier Kost zu entrichten.
Davon erhielten Kriegsgefangene aus Westeuropa – und nun auch jene aus Süd-
osteuropa, die bis dahin den Polen gleichgestellt waren – täglich 0,70 Reichsmark,
Polen 0,50 Reichsmark und Sowjetbürger 0,20 Reichsmark.254 Vielfach erhielten
sowjetische Kriegsgefangene jedoch nichts ausbezahlt ; in einer Anordnung des
Stalag XVII B Krems-Gneixendorf vom Oktober 1941 heißt es : „Kein sowjeti-
scher Kgf. erhält Lohnzahlung.“255 Zusätzlich zum Lohn konnten Dienstgeber/-
innen den Gefangenen, Sowjetbürger ausgenommen, täglich bis zu 0,20 Reichs-
mark Leistungszulage gewähren. Um Fluchtversuche einzudämmen, erfolgte die
Auszahlung ausnahmslos in Lagergeld, das zum Kauf von Gebrauchsartikeln im
Magazin des Stalags oder in örtlichen Geschäften galt ; auf dem Schwarzmarkt
soll das Umtauschverhältnis Lagergeld zu Reichsmark 1 zu 10 betragen haben.256
Umgelegt auf einen Monat zu 26 Arbeitstagen standen ab Oktober 1941 westli-
chen und südöstlichen Kriegsgefangenen 18,20 Reichsmark, Polen 13 Reichsmark
und Sowjetbürgern 5,20 Reichsmark zu ; die höchstmögliche Leistungszulage be-
trug monatlich 5,20 Reichsmark. Ab November wurde das Entgelt für sowjetische
Kriegsgefangene auf 0,35 Reichsmark täglich oder 9,10 Reichsmark pro Monat
angehoben. Die Leistungszulage für nichtsowjetische Gefangene konnte auf bis zu
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937