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327Gerechter
Lohn oder Ausbeutung ?
20 Prozent des tariflichen oder ortsüblichen Lohnes angehoben werden ; für Sow-
jetbürger galt eine Beschränkung von 0,30 Reichsmark täglich oder 7,50 Reichs-
mark pro Monat. Für jeden der ersten drei Krankheitstage durfte der Dienstgeber,
die Dienstgeberin für Unterkunft und Verpflegung das Arbeitsentgelt um eine
Reichsmark kürzen.257
Der Grundsatz, die Entlohnung ausländischer Zivilarbeiter/-innen mit jener
der Deutschen zu verknüpfen, kam für die jüdischen Männer, Frauen und Kinder
aus Ungarn, die seit Sommer 1944 in Bauern- und Gutsbetrieben eingesetzt wur-
den, nicht zur Anwendung. Für diese Arbeitskräfte galten aufgrund einer Anord-
nung des Gauarbeitsamts Niederdonau vom Juni 1944 die nach Geschlecht und
Alter unterschiedlich festgesetzten Bruttolöhne, die nach der zu diesem Zeitpunkt
bereits außer Kraft gesetzten Reichstarifordnung vom Jänner 1940 polnischen Ar-
beitskräften zugestanden waren. Leistungszulagen bis zu 15 Prozent und Abzüge
bei mangelnder Leistung bis zu 50 Prozent verschafften den Dienstgeber/-innen
einen enormen Spielraum für die Festsetzung der Auszahlungsbeträge. Nach die-
sen Bestimmungen waren die „ungarischen Juden“ seit Juni 1944 die am schlech-
testen entlohnte Kategorie ausländischer Arbeitskräfte in der Landwirtschaft ;
dazu kam noch eine Reihe diskriminierender Sonderbestimmungen : Die arbeits-
rechtlichen Vorschriften für Deutsche fanden keine Anwendung ; für Jugendliche
galten dieselben Arbeitszeiten wie für Erwachsene ; die Bezahlung erstreckte sich
nur auf die „tatsächlich geleistete Arbeit“ ; Zuschläge für Sonn- und Feiertagsar-
beiten waren verboten ; im Fall einer Erkrankung sollte die Lohnzahlung einge-
stellt werden ; Urlaubsansprüche bestanden nicht ; Familien-, Kinder- und sonstige
Zulagen gab es keine ; die Dienstgeber/-innen konnten für jeden nicht mittätigen
Familienangehörigen Tagsätze für Kost und Unterkunft von 1,20 Reichsmark für
Personen über 12 Jahren, 0,90 Reichsmark für Kinder von 4 bis 12 Jahren oder
0,60 Reichsmark für Kinder unter 4 Jahren vom Bruttolohn abziehen ; schließlich
wurden die Löhne nicht an die Arbeitenden selbst ausbezahlt, sondern zusammen
mit dem Dienstgeberanteil für die Krankenversorgung von 3 Reichsmark für jeden
Beschäftigten auf ein vom „Sondereinsatzkommando“ der SS verwaltetes Konto
der Länderbank in Wien, lautend auf den „Ältestenrat der Juden“, überwiesen.258
In den gesetzlichen Bestimmungen über die Entlohnung wird deutlich, dass der
überwiegende Teil der ausländischen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft einem
höheren Grad an Ausbeutung unterlag als die Inländer/-innen. Dieses diskrimi-
nierende Regelwerk kategorisierte die ausländischen Frauen und Männer nicht nur
nach der Klasse, sondern auch nach „Rasse“ und Geschlecht. Den ersten Maßstab
für die Ausbeutung ausländischer Landarbeiter/-innen setzte die Reichstariford-
nung vom Jänner 1940. Danach lagen die Löhne für Polen um 36 bis 52 Prozent
und für Polinnen um 40 bis 55 Prozent unter jenen inländischer Normal-Arbeits-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937