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Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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344 „Menschenökonomie“ unter Zwang Dieser Fall verdeutlicht, dass die verordnete Apartheid vielfach im Widerspruch zu den landwirtschaftlichen Erfordernissen, vor allem jenen der bäuerlichen Familien- wirtschaft, stand : Die Tischgemeinschaft diente nicht nur der körperlichen Kräfti- gung der Betriebs- und Haushaltsangehörigen, sondern auch der Bekräftigung der zwischen diesen bestehenden Machtbeziehungen : „Am Tisch des Patrons zu essen und unter seinem Dach zu schlafen schuf die größte Schuldabhängigkeit.“327 Dass aus der Perspektive der Ausländer/-innen die Hochschätzung der Dienstgeber/- innen  – und damit auch die Arbeitsmotivation  – vorrangig auf der Erfahrung des gemeinsamen, ausreichenden Essens fußte, verdeutlicht auch die ehemalige „Ostarbeiterin“ Valentina Illarionovna Perepelica : „Ich war bei dem Bauern, dort bin ich nicht schlecht behandelt worden, was sie selbst gegessen haben, haben wir auch.“328 Dass die „Tischgemeinschaft“ nicht immer mit ausreichendem Essen ein- herging, zeigt der Fall des „Ostarbeiters“ Sergej Zakharovich Ragulin, der die Zeit seiner Zwangsarbeit nach den wechselnden Köchinnen gliedert : „Und dabei haben sie uns nicht von Abfällen genährt, sondern normal. Vor unserer Ankunft haben uns eben auch [die anderen am Hof Beschäftigten] erzählt, dass sie in der Küche gemeinsam mit der Wirtin mit dem Hausherrn und sie saßen zusammen an einem Tisch, aßen ein und dasselbe, so war’s.“329 Die als Köchin eingeteilte Schwester des Bauern verpflegte die „Ostarbeiter“ aus- gesprochen reichlich, weil sie so die Angst um ihren an der Ostfront im Einsatz stehenden Mann zu bewältigen suchte. Die Frau des Bauern, die nach einiger Zeit die Verantwortung für die Küche übernahm, versorgte die „Ostarbeiter“ nicht halb so gut. Dieser Fall zeigt, in welchem Maß die Verpflegung von der Willkür der Dienstgeber/-innen abhing  – im positiven wie im negativen Sinn. Der Einschluss in die nivellierte Tischgemeinschaft konnte auch Hand in Hand mit der Erfah- rung des Ausschlusses aus der hierarchischen Betriebs- und Hausgemeinschaft gehen. Ausländer/-innen, vor allem unverheiratete Mütter, waren der Willkür ih- rer Vorgesetzten viel umfassender ausgesetzt als inländische Arbeitskräfte, die im Behördenapparat und in der dörflichen Öffentlichkeit ein höheres Maß an Un- terstützung fanden.330 In der Debatte um die Tischgemeinschaft manifestiert sich der Widerspruch zwischen dem arbeitsökonomisch motivierten Einschluss und dem rassenideologisch motivierten Ausschluss der Zwangsarbeiter/-innen auf dem Land in aller Klarheit. Nicht allein die Essensmenge und das Personennetzwerk, in das der und die Einzelne eingebunden waren, bestimmten den Ernährungsalltag. In den Erzäh- lungen ehemals im Einzeleinsatz stehender Zwangsarbeiter/-innen kommen viel- fach auch Fremdheits- oder Vertrautheitsgefühle in Verbindung mit dem Essen zur
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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